Nachtwandler (German Edition)
zumindest medizinisch“, erkläre ich. „Leo und ich … er ist nicht mein Bruder. Die Wahrheit ist, dass Leo und ich ein und dieselbe Person sind.“
Er sieht mich irritiert an und ich weiß ganz genau, dass er in diesem Moment darüber nachdenkt, ob ich vielleicht gehörig einen an der Waffel habe.
„Ähmm“, antwortet er, rückt sogar ein Stück von mir ab.
Ich seufze. „War klar, dass du so darauf reagierst. Es ginge mir vermutlich nicht anders. Aber ich werde es dir beweisen.“ Ich beginne damit, mich aus Jeans und Shirt zu schälen.
Er springt vom Sofa auf und bringt sich hinter einem Sessel in Sicherheit. Er sieht mich mittlerweile mit einem recht gehetzten Gesichtsausdruck an. Sein Blick scheint zu sagen: ‚Bleib mir bloß vom Leib, du Irre!‘
Ich schüttle lächelnd den Kopf. „Keine Angst, ich tu dir nichts. Das Ganze wäre mir im Badezimmer zwar lieber, aber ich fürchte, du wirst mich nicht dorthin begleiten?“
Er schüttelt energisch den Kopf und seine Augen werden immer größer.
„Okay“, sage ich, „es geht jetzt gleich los. Setz dich einfach in den Sessel dort, ja? Und auch wenn es zwischendurch mal so aussehen sollte, du musst keinen Notarzt holen, hast du verstanden? Ich mache den Scheiß zweimal am Tag durch. Aber du musst es sehen, du glaubst es mir sonst einfach nicht.“ Meine Fingerspitzen beginnen bereits zu kribbeln und ich lege mich langgestreckt auf die Ledercouch.
Ich bekomme während der nächsten zwei Minuten nicht mit, was um mich herum geschieht. Ich glaube zwar, dass Felix mehrmals ziemlich panisch meinen Namen ruft, aber ich bin mir nicht sicher. Nachdem die Verwandlung vollzogen ist, setze ich mich mit noch geschlossenen Augen etwas auf und angle nach Wasser und Traubenzucker, das ich mir auf dem Wohnzimmertisch bereitgelegt hatte. Binnen Sekunden ist beides vertilgt, dennoch dauert es noch eine Weile, bis mein Kreislauf wieder einigermaßen auf der Höhe ist. Zumindest schaffe ich es, schon einmal die Augen zu öffnen.
Felix sitzt immer noch im Sessel. Die Finger beider Hände hat er in das Leder gekrallt und ist furchtbar blass. Als er sieht, dass meine Augen geöffnet sind, steht er auf, kommt recht wackelig näher und geht vor mir in die Hocke. Er zittert wie Espenlaub. „Scheiße Leo“, flüstert er, „was ist da eben passiert?“
„Ich habe mich verwandelt“, erzähle ich das Offensichtliche.
„Ja, das habe ich mitbekommen, aber ich kann es einfach nicht glauben. Wie ist so was möglich?“
„Lange Geschichte. Ich werde dir jede einzelne Frage beantworten, aber ich brauche noch ein paar Minuten, okay? Und dann muss ich dringend duschen.“ Ich fühle mich immer noch, als ob man mich durch einen Fleischwolf gedreht hätte. Mein Schweiß tropft langsam vom Sofa auf den Parkettboden.
„Okay“, erwidert er hilflos. Er weiß nicht, was er tun und denken soll, das ist ihm überdeutlich anzusehen. „K-kann ich irgendwas für dich tun?“
„Sei einfach da … schaffst du das?“, will ich wissen.
„Ich gehe nirgendwo hin. Ich bleibe bei dir, solange du willst“, verspricht er.
Ich nicke, dann stehe ich auf. Ich bin immer noch ziemlich wackelig auf den Beinen. Felix möchte mir zu Hilfe eilen, doch ich winke ab. „Schon okay, ich schaffe das. Ich bin in ein paar Minuten wieder da.“ Dann mache ich mich torkelnd auf den Weg ins Bad.
*
Felix hat sein Versprechen gehalten, er ist tatsächlich noch da, als ich einige Zeit später frisch geduscht und ordentlich gekleidet wieder ins Wohnzimmer zurückkehre. Er hat in der Zwischenzeit die Couch und den Fußboden gewischt. Ich bleibe überrascht stehen.
„Das hättest du nicht machen müssen“, sage ich.
„Mach jetzt keine große Sache daraus. Ich habe es getan und gut. Ich musste mich einfach beschäftigen, sonst wär ich durchgedreht.“ Er lässt sich stöhnend in einen Sessel fallen, wirft den Kopf in den Nacken und starrt an die Zimmerdecke.
„Deswegen lasse ich die Verwandlung am liebsten in der Badewanne über mich ergehen, die brauche ich anschließend einfach nur auszuspülen“, erkläre ich. „Aber heute …“
„Ja, ich wollte nicht … Mensch Leo, ich dachte, du bist 'ne total durch geknallte Braut. Wer denkt denn an so was?“ Er mustert mich von Kopf bis Fuß und schüttelt den Kopf. Er ist immer noch fassungslos. „Und das passiert zweimal am Tag?“
Ich nicke. „Ja. Bei Sonnenuntergang werde ich zum Mann, bei Sonnenaufgang zu einer Frau“, antworte ich, als ob es
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