Nachtwandler (German Edition)
das Natürlichste der Welt wäre, was es für mich ja auch irgendwie ist, denn ich kenne es seit meinem 16. Geburtstag nicht anders.
Er lacht kurz trocken auf und schüttelt erneut den Kopf. Dann denkt er einen Moment nach … das sehe ich daran, dass sich über seiner Nasenwurzel zwei steile Falten bilden. „Hast du dich deswegen neulich im Badezimmer verbarrikadiert? Du hast vergessen, mich rechtzeitig rauszuschmeißen, stimmt’s?“
„Ja“, antworte ich. „Ich habe verschlafen und bin aufgewacht, als meine Finger anfingen zu kribbeln. Deshalb schläft normalerweise niemand bei mir.“ Ich könnte mich für diese Leichtsinnigkeit immer noch ohrfeigen.
„So beginnt es? Wie fühlt es sich an?“, will er wissen.
Ich nicke. „Erst kribbeln die Finger, dann der ganz Körper. Mir wird so heiß, dass ich denke, ich verbrenne. Am Schlimmsten allerdings ist das Zittern. Mein Körper wird dabei so sehr durchgeschüttelt, dass meine Zähne aufeinander schlagen“, erkläre ich ihm.
„Verdammt Leo, du hattest Schaum vor dem Mund!“, ruft er immer noch entsetzt aus und springt auf. „Ich glaube, ich habe noch nie in meinem Leben so eine Scheißangst um einen anderen Menschen gehabt. Ich dachte, du krepierst! Ich war drauf und dran, einen Arzt zu rufen!“ Felix Stimme klingt nun fast schon hysterisch. Er beginnt damit, unruhig in meinem Wohnzimmer umherzuwandern.
„Ich sagte doch …“
„Ich weiß, was du gesagt hast, verdammt“, unterbricht er mich. Seine Augen huschen unstet über mein Gesicht.
„Hey“, versuche ich ihn zu beruhigen, „es ist nicht so schlimm, wie es aussieht. Komm her“, flüstere ich, setze mich auf das Sofa und strecke eine Hand nach ihm aus.
Mit einem Stoßseufzer lässt er sich neben mich sinken und lehnt den Kopf an meine Schulter. Er zittert immer noch ganz leicht. Ich lege einen Arm um ihn herum und ziehe ihn dichter zu mir. Mein Gesicht vergrabe ich in seinem Haar und atme tief diesen herrlichen, unverkennbaren Duft ein.
„Erzählst du mir, wie all das überhaupt möglich ist? Ich überlege immer noch, ob das nicht ein riesiger, ziemlich geschmackloser Trick war.“
„Wenn es denn nur ein Trick wäre“, erwidere ich. „Ich habe dir vorhin versprochen, dass ich dir jede Frage beantworte und ich werde mich daran halten!“
„Fang einfach ganz vorne an“, bittet er mich. „Ich frag dann schon, wenn ich etwas genauer wissen möchte.“
„Okay, dann mach dich auf 'ne unglaubliche Story gefasst“, warne ich ihn vor. Dann beginne ich zu erzählen: „Mein Dad war ein ziemlich notgeiler Bock, bevor ich zur Welt kam“, Felix grinst leicht, sagt aber nichts weiter dazu. „Er war hinter jedem Rock her und hat so ziemlich alles gefickt, was die Beine für ihn breitgemacht hat. Meine Mutter wusste es, hat aber nichts dagegen unternommen. Vielleicht war es ihr auch einfach egal. Keine Ahnung, ich habe nie mit ihr darüber gesprochen. Dann wurde sie schwanger und hat meinen Vater von einem Tag auf den anderen die Pistole auf die Brust gesetzt. Habe ich dir je erzählt, dass meine Mutter die Alleinerbin des von Heppstett-Vermögens ist? Geschwister hat sie keine und so oblag es ihr, den Titel an die nächste Generation weiterzugeben. Es gibt einen Ehevertrag, in dem festgehalten ist, dass mein Vater im Falle einer Trennung praktisch nichts bekommt. Ein bisschen Taschengeld, er könnte davon leben, aber von seinem jetzigen Lebensstandard könnte er sich verabschieden.“ Ich zucke mit den Achseln.
„Ich glaube, ich mag deinen Vater nicht besonders“, wirft Felix grimmig dazwischen.
„Das Ganze ist mittlerweile fast 27 Jahre her, er hat sich verändert. Ich kenne ihn nur als hingebungsvollen Vater und guten Ehemann. Ob nicht auch schlechtes Gewissen dabei eine Rolle spielt, kann ich nicht sagen, ich nehme es aber an, denn er ist gewissermaßen Schuld an meiner Situation.“
„Wie das?“
„Er hat seine damalige Flamme in die Wüste geschickt und ist in den ehelichen Schoß zurückgekehrt. Nur hat er sich dafür leider die falsche Braut ausgesucht. Sie war so erbost über sein Handeln, dass sie Rache schwor. Sie hat ihm einen Fluch auf den Leib gehext, beziehungsweise seinem Erstgeborenen, also mir“, erkläre ich.
„Einen Fluch?“, japst Felix.
„Japp, einen Fluch, so unglaublich sich das auch anhören mag.“
„Und … und was sollte der bewirken?“, fragt er vorsichtig.
„Der Fluch besteht aus zwei Phasen. Die eine Phase begann bei meiner Geburt, ich
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