Nachtwandler (German Edition)
„Daniel, ich hab Mist gebaut. Ich bin eingeschlafen und aufgewacht, als ich anfing, mich zu verwandeln. Ich bin in den letzten Wochen viel zu leichtsinnig geworden. Das darf nie wieder passieren.“
„So etwas in der Richtung habe ich mir schon gedacht. Hat er dich gesehen?“
Ich schüttle den Kopf. „Nein, zum Glück nicht. Ich konnte mich rechtzeitig ins Bad verziehen. Aber was wäre passiert, wenn er wach gewesen wäre?“
„Wäre das denn wirklich so schlimm? Hast du mal darüber nachgedacht, ihm die Wahrheit zu sagen?“, schlägt er vor.
„Bist du bescheuert? Damit er mich für einen Freak hält und mich dann endgültig in die Wüste schickt?“
„Das ist deine größte Angst, oder?“ Ich sehe ihn verständnislos an. „Dass er nichts mehr mit dir zu tun haben möchte.“
„Ich mag ihn“, seufze ich.
Daniel lacht und schüttelt den Kopf. „Du magst ihn nicht nur, du bist total verschossen in ihn.“
„Wie kommst du denn auf den Schwachsinn? Ich war noch nie verliebt“, entgegne ich vehement.
„Irgendwann erwischt es uns alle. Es war nur eine Frage der Zeit, bis du an der Reihe bist.“ Ich schweige. „Sag ihm die Wahrheit.“
„Selbst wenn du recht hättest: Er glaubt mir doch niemals!“
„Du müsstest ihn nur bei einer deiner Verwandlungen zusehen lassen.“ Ich schüttle den Kopf und vergrabe die Hände in mein Haar. „Rede mit ihm“, bittet er mich noch einmal eindringlich. „Wenn du so weitermachst, wie in den letzten Tagen, dann wird er weg sein. Du kannst nicht von ihm erwarten, dass er ewig auf dich wartet.“
„Hat er das gesagt?“
„Nein, das hat er nicht. Du bedeutest ihm sehr viel, aber seine Hoffnung schwindet langsam“, erklärt er.
Daniels Worte gehen mir immer noch durch den Kopf, als er längst die Wohnung wieder verlassen hat. Dann tue ich etwas vollkommen Verrücktes: ich greife nach dem Handy, wähle Felix Telefonnummer und drücke auf den grünen Hörer.
Es tutet zwei Mal, dann höre ich Felix Stimme. „Ja?“
„Hast du morgen Abend Zeit?“, frage ich ohne Begrüßung.
„Leo?“ Seine Stimme klingt unsicher.
„Ja. Also, hast du?“
„Ja, klar. Welche Uhrzeit?“
Die Sonne wird exakt um 19:34 Uhr untergehen. „Kannst du um 19:15 Uhr hier sein? Ich muss dringend mit dir reden und … dir so einiges erklären“, sage ich.
„Okay“, antwortet er schlicht.
„Es ist wichtig, dass du pünktlich bist. Schaffst du es auch wirklich bis dahin?“
„Kein Problem. Ich werde da sein“, verspricht er.
„Okay, dann sehen wir uns morgen“, erwidere ich knapp und lege auf. Ich habe Angst, dass ich es mir vielleicht doch noch anders überlegen könnte.
Dann beginnt das bange Warten. In der Nacht finde ich keinen Schlaf. Unruhig wälze ich mich von einer Seite auf die andere und mein Unterbewusstsein gaukelt mir die schlimmsten Horror-Szenarien vor. Auch am nächsten Tag bin ich alle zwei Minuten der felsenfesten Überzeugung, einen furchtbaren Fehler zu machen und muss mich davon abhalten, die ganze Sache einfach wieder abzublasen. Dementsprechend mutiere ich mit jeder Minute, die der Zeitpunkt näher rückt, immer mehr zu einem nervlichen Wrack. Als es schließlich pünktlich klingelt, denke ich sogar für einen Augenblick darüber nach, Felix einfach vor der Tür stehen zu lassen.
Ich hole noch einmal tief Luft und öffne dann die Tür.
„Hallo.“ Ich versuche mich in einem freundlichen Lächeln und halte die Tür auf, um Felix eintreten zu lassen. Nervös wische ich eine Hand an meiner Hose ab.
„Hi … eigentlich habe ich Leo erwartet. Ist er nicht hier?“ Er blickt irritiert über meine Schulter.
„Doch“, sage ich schnell. „Es ist nur etwas kompliziert. Setzen wir uns ins Wohnzimmer?“
Felix sieht mir entgegen. „Ich weiß nicht …“, antwortet er unsicher, folgt mir dann aber trotzdem und setzt sich zu mir auf die Couch – allerdings mit einigem Abstand.
„Oh Mann, ich habe so viel zu sagen aber nicht die geringste Ahnung, wo ich anfangen soll“, erkläre ich. „Du wirst mir kein einziges Wort glauben.“ Ich schüttle den Kopf. Toller Einstieg, spätestens jetzt dürfte er mich für einen ziemlich merkwürdigen Kauz halten.
„Ist irgendwas mit Leo passiert?“, fragt er alarmiert. „Ist er deswegen nicht bei uns?“ Ich glaube, er wird sogar etwas blass.
„Nein“, beruhige ich ihn. „Es ist alles in Ordnung. Das heißt, ist es natürlich nicht, aber nicht das, was du vielleicht denkst. Es geht … mir gut,
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