Nachtwelt (German Edition)
jetzt zum Essen. Es ist zwölf Uhr. Eine ¾ Stunde Mittag, die immer (leider ohne die Kollegen aus dem Verkauf) gemeinsam gemacht wird. Gegessen wird in einem der kleineren, kaum noch genutzten Gewächshäuser. Dort steht ein riesiger, quadratischer Holztisch. An jeder seiner Seiten haben sechs Leute Platz. Heute kommen nach und nach zwanzig Kollegen ins Gewächshaus. Gelernte Gärtner, Auszubildende, Fahrer, Aushilfs- und Teilzeitkräfte. Jeder hat seine Thermoskanne oder Getränkeflasche auf dem Tisch platziert. Tupperdosen, in den unterschiedlichsten Farben, sind dazu wild verstreut. Der Tisch ist so bunt, wie das Primelmeer, in dem Mimi noch vor einigen Minuten gestanden hat.
„Mahlzeit.“
Alle erwidern Mimis Gruß und wünschen ihr einen guten Appetit. In der einen Hand ein Salamibrot, in der anderen ein Stück Salatgurke hört sie dem wilden Gequatsche der Kollegen zu. Es geht um Benzinpreise und Urlaubsziele. Meistens aber sprechen sie über Geld und die Kinder. Mimi und ihre Kollegin, mit der sie den Vormittag Primeln gepackt hat, konzentrieren sich auf das Gespräch der Auszubildenden. Die sind zu Fünft und aus verschiedenen Lehrjahren. Die Jüngste ist gerade siebzehn, die Älteste Anfang zwanzig.
„…den fand ich sooo süß und meine Freundin hat dann gesagt, ich soll mal zu ihm gehen und ihn anquatschen. Hab’ ich auch gemacht. Bin einfach auf ihn zu marschiert und hab’ ihn gefragt, wie er heißt. Ich heiß’, wie immer du willst, hat er geantwortet. Süß, oder?! Wir haben den ganzen Abend miteinander gequatscht und getanzt. Für den nächsten Tag haben wir uns zum Strandspaziergang verabredet. Da hat er das erste Mal meine Hand genommen.“
„Wie romantisch“, sagt das zweite Lehrjahr, „hat er was Schönes zu dir gesagt?“
„Er hat gesagt, mit mir würde die Sonne heller scheinen und vielleicht wäre das mit uns was für die Ewigkeit.“
Die Fünf gucken ein wenig verklärt, seufzen und knabbern dann weiter an ihren Broten. Mimis Kollegin guckt zu ihr herüber: „Man, so jung möchte ich noch einmal sein, dass ich diesen Scheiß zum ersten Mal höre.“
Während Mimi nickt stülpt sie die Unterlippe nach vorn. Einen Moment hängt sie ihren Gedanken nach, bis sie antwortet: „Ja, noch einmal süße 17, dass wär’s.“
Nach nur drei Jahren Ehe haben sich Mimi und ihr Mann vor zwei Jahren getrennt. Seitdem ist sie allein. Keine Affäre, kein One Night Stand - nicht ein Versuch eine neue Beziehung einzugehen.
Sie ist gern Single. Keine militante Single-Frau (scheiß auf die Männer – sind doch alles Schweine). Sie findet Männer gut und jetzt im Frühling wird sie sich viel und gern nach ihnen umdrehen. Sie zweifelt nicht an den Männern. Nur daran, dass Beziehungen im Wirrwarr des Alltags Bestand haben.
Je älter sie wird, desto mehr hat sie mädchenhafte Vorstellungen von bedingungsloser Liebe. Sie will den Retter in der Not. Den, der, wenn Gefahr droht, schweigend aus der Dunkelheit tritt und sich schützend vor sie stellt. Mimi will, dass noch nach Jahren ein Blick von ihm ihr Herz zum rasen bringt. Sie will ihren Seelenverwandten. Leider hat die Erfahrung gezeigt:
DASS GIBT ES NICHT!
„Mimi? Eh, MIIIMI!! Bist du eingeschlafen? Mittagspause ist vorbei.“
Mimi reißt sich von ihren Gedanken an ewige Liebe und Seelenverwandtschaft los und macht sich auf den Weg, noch ein paar hundert Primeln zu packen.
14:00 Uhr, Feierabend.
Mit weit geöffnetem Autofenster fährt sie ihrem Frühjahrsputz entgegen. Eigentlich ist es noch zu kalt, um mit offenem Fenster zu fahren. Weil aber die Luft so gut riecht, nimmt sie es gern in Kauf zu frieren.
Das Autoradio hat sie voll aufgedreht. Zusammen mit Bono grölt sie „Beautiful Day“. Der kleine, geteerte Feldweg in den sie nun einbiegt, ist nur für den landwirtschaftlichen Verkehr und Anlieger frei gegeben. Anlieger sind, außer Mimis Vermietern und ihr, die Eheleute Schütze und Michi und Andy. Sie alle leben am Ende dieser Straße. Es gibt das Herrenhaus und die Remise. Den Eheleuten Schütze gehört das ehemalige Gesindehaus und Michi und Andy haben vor ein paar Jahren die alte Fachwerkscheune zum Wohnhaus umgebaut.
Bald wird neben der kleinen Strasse das Gras wieder saftig grün sein. Schwarz weiße Kühe werden sich hier dick und fett fressen. Wenn dann noch die Rapsfelder blühen ist es der perfekte Nachhauseweg.
Schon knirschen die Autoreifen auf der Auffahrt, vor dem Herrenhaus. Als Mimi an den
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