Nachtwelt (German Edition)
Drachen vorbei radelt, lächelt sie ihnen, in der Hoffnung sie bewegen sich, zu. Dies scheint ihr wahrscheinlicher, als dem Retter in der Dunkelheit zu begegnen.
Mimi beginnt ihren Frühjahrsputz im Flur, der eher an eine begehbare Garderobe erinnert. Zwischen den Winterjacken, Mützen und Schals findet man zwei Türen. Hinter der einen liegt das kleine Duschklo. Hinter der anderen das Wohnzimmer, mit offener Küche. Im Wohnzimmer ist eine Wendeltreppe aus Industriestahl installiert, die in den ausgebauten Spitzboden führt. Die Grundfläche unterm Dach ist nicht klein, aber durch die Schrägen ist die Stehhöhe sehr eingeschränkt. Auf der einen Giebelseite befindet sich der begehbare Kleiderschrank. Auf der anderen Seite steht Mimis Bett, mit Blick auf das dreieckige Fenster.
Um 18:30 Uhr ist sie mit dem Frühjahrsputz, Gartenbegehung und Abendessen fertig. Von der Arbeit und den vielen schlechten Nächten ist sie total kaputt. Das lässt Mimi hoffen, heute Nacht gut schlafen zu können. Sie geht früh ins Bett um zu lesen, schafft aber nicht einmal drei Seiten. Während sie das Licht ausmacht, versinkt ihr Kopf schwer im Kissen. Im Halbschlaf zieht sie die von Mutti selbst gestrickten Angorasocken von den heißen Füssen.
Dunkelheit legt sich wohltuend zu ihr. Zufrieden streckt sie sich aus und hat das Gefühl ihre Füße würden weiches Gras berühren.
F euer in der Nacht
Es ist kein Gras, sondern Moos auf dem sie steht. Seine Farbe - ein tiefes Grün. Sie hat das Gefühl, als stünde sie auf einem dicken, weichen Teppich. Das Moos überzieht eine weite Ebene, auf der ein paar Felsen liegen. Es sieht aus, als hätte ein Riese seine großen Hände geöffnet und die Felsen willkürlich in dieses grüne Meer fallen lassen.
Sie geht zu einem der Steine, um sich zu setzen. Der nachtblaue Himmel ist übersät von Sternen. Es müssen Millionen sein. Hier sehen sie nicht wie kleine, helle Punkte aus, sondern vielmehr wie Diamanten. Die Sterne glitzern, scheinen in Bewegung zu sein und wechseln dabei ihre Farbe.
Obwohl es tiefe Nacht ist, bleibt dem Auge nichts verborgen. Die Umgebung ist genau zu erkennen.
Erst jetzt merkt Mimi, dass die Angorasocken, die eben noch ihre Füße wärmten, kniehohen Stiefeln aus dickem, weichem Leder gewichen sind. In die Stiefel hat sie ihre Hose aus grob gewebtem, naturweißem Leinen gesteckt.
Ihr Hemd ist aus dem gleichen Material wie ihre Hose. Ihre Unterarme werden von ledernen Manschetten geschützt, die vom Handgelenk bis zu den Ellenbogen reichen. Das Leder ist mit Ornamenten, Tieren und Dämonenhaften Fratzen verziert. Über dem Hemd trägt sie eine ärmellose, knielange Lederweste. An einem breiten Gürtel, mit schlichter silberner Schnalle, ist ein Schwert befestigt.
So als hätte sie es hunderte Male vorher getan, zieht sie das Schwert aus seiner hölzernen Schwertscheide. Vorsichtig hält Mimi die scharfe Klinge zwischen ihren Händen.
Die Parierstange, das Querstück zwischen Griff und Klinge, zeigt zwei wolfsähnliche Hunde. Es scheint, als würden die Hunde von der Schwertklinge weg springen. Das Ende des Schwertgriffes ziert ein kobaltblauer, runder Stein.
In die Hohlkehle, die Vertiefung, die beidseits in die Mitte des Schwertes eingeschmiedet wurde, ist, mit eben diesem kobaltblauen Stein, ein Spruchband eingelegt. Es sind fremde Schriftzeichen, Runen ähnlich. Während sie mit dem Finger die Hohlkehle entlangfährt liest sie,
Kämpfe und Sterbe aus Überzeugung .
Langsam lässt sie das Schwert zurück in seine Scheide gleiten. Es ist eine Sache aus Überzeugung zu kämpfen, aber Sterben?
Mimi schaut über die Moosebene, dann hinauf in den Diamanthimmel. Sie hat das Gefühl, als wäre sie nach langer Zeit nach Hause zurückgekehrt. Alles an diesem Ort scheint richtig zu sein: Die Kleidung, die Bewaffnung und, dass sie die runenartigen Schriftzeichen lesen kann. In diesem Moment spürt sie etwas wie Glück und ist von einer tiefen Zufriedenheit erfüllt.
Noch nie hatte sie einen Traum, der so wirklich war. Selbst den sanften, warmen Wind kann sie auf ihrer Haut spüren. Gerne würde sie hier bis zum Weckerklingeln sitzen bleiben, doch irgendetwas drängt sie, in den hinter ihr liegenden Wald zu gehen.
Obwohl die Bäume sehr dicht stehen ist etwas, das vor langer Zeit ein Pfad gewesen ist, zu erkennen. Mimi wandert durch mannshohe Farne, bestaunt Bäume und Blumen die sie noch nie in ihrem Leben gesehen hat.
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