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Nachtwelt

Nachtwelt

Titel: Nachtwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theres Buechner
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und sie verbotenerweise küsst.
     
    Am besten gefällt Mimi das große Beet am Rande des
Parks. Es wird nicht mehr gepflegt und dort scheint die Zeit still zu stehen.
Die Bäume sind alt und so groß, dass man den Kopf weit in den Nacken legen
muss, um bis zu ihren Kronen zu sehen. Moos und Flechten wachsen an ihren
Stämmen. Farne bedecken den Boden und auf einem vor Jahren umgestürzten Baum
wachsen große, orangefarbene Pilze. Die Wildheit und die Kraft dieser Bäume
fasziniert Mimi. Seit Jahrzehnten trotzen sie den Stürmen und der Kälte des
Norddeutschen Winters.
     
    Der Sandweg biegt nun zum kleinen See des Parks ab.
Die Uferseiten sind durch eine Brücke verbunden. Zwei Meter breite und sehr
dicke Eichenbohlen lassen keinen Zweifel daran, dass die Brücke, auch in
hundert Jahren noch gefahrlos überquert werden kann. Das Brückengeländer ist
weiß gestrichen und die Handläufe sind in einem leichten, nach außen gewölbten
Bogen bis auf die Erde vor der Brücke gezogen. Aus den Enden des Geländers sind
die Schwänze zweier liegender Drachen geschnitzt. Sie flankieren den Übergang
der Brücke. Die Drachen haben ihre Köpfe erhoben und ihre Flügel sind leicht
vom Körper abgespreizt. Die Schnitzerei ist so lebendig, dass man glauben
könnte, die Drachenaugen würden jeder Bewegung folgen. Obwohl Mimi fast täglich
an dieser Brücke vorbeifährt, hat sie sich noch nicht an diesem fantastischen
Anblick satt gesehen.
     
    Alles im Park schreit nach Frühling. Noch ist der
Boden nass und die Bäume sind unbelaubt, aber ein paar Tage Sonne werden dies
schnell ändern. Auf der Rasenfläche sind schon ganz deutlich tausende, kleine
grüne Krokusspitzen zu erkennen. Bald wird Mimi durch ein wogendes Meer aus
lila Blüten fahren.
     
    Hinter dem Haupttor schiebt sie ihr Fahrrad. Sie ist nicht
fit genug, um durch den hohen Kies der Auffahrt zu radeln. Außerdem liebt sie
das knirschende Geräusch der Kiesel, während sie über die Steine läuft.
    Gärtner, Haushälterin und Köchin des Herrenhauses
treten gerade ihren täglichen Dienst an. Während die Drei von ihren Autos zum
Haus hinüber gehen, winken sie gut gelaunt: „Moin Mimi!“
    „Moin, ihr Drei! Ich wünsch’ euch einen schönen
Arbeitstag.“
     
    Schon sitzt Mimi in ihrem Wagen und ist auf dem Weg
zur Arbeit. Zwanzig Minuten Fahrt und sie wird ihre Schicht in der Gärtnerei
beginnen. Dort arbeitet sie dreißig Stunden die Woche. Leider reicht das Gehalt
nicht für ihren Lebensunterhalt, so dass sie an zwei Abenden in der Woche auf
einer Tankstelle aushilft.
     
    Als sie ihren Arbeitsplatz erreicht, ist der
Mitarbeiterparkplatz bereits gut gefüllt. Mimi geht zum Büro, um ihren heutigen
Arbeitszettel abzuholen. Dicht gedrängt steht ein Teil der Kollegen in dem
kleinen Raum.
    „Moin.“
    „Moin Mimi“, eine ihrer Kolleginnen drückt sie an ihre
Brust. „Na, wieder schlecht geschlafen? Deine Augenringe werden immer dunkler.“
    „Ja, ich weiß.“
    Grinsend sagt der Gärtnermeister zu den Frauen: „Mimi
hat bestimmt von mir geträumt. Ich schaff’ es immer, die Mädels wach zu
halten.“
    Er hebt die Hand und der Fahrer der Gärtnerei klatscht
ab und sagt: „Genau, Ole. Du bist der wahr gewordene Traum aller Frauen.“
     
    Während sich Mimi und ihre Kollegin aus dem Büro
drängeln, schaut die noch einmal zu den Männern: „Wenn ich an dich denke, Ole,
könnte ich auch nicht schlafen. Du bist der wahr gewordene Alptraum.“
     
    Mimi arbeitet heute im Gewächshaus 3. Tausende von
Primeln warten auf sie. Beim Öffnen der Tür sind Farben und Duft fast zuviel,
für Augen und Nase. Heute wird sie nichts anderes tun, als die Primeln
auszuputzen. Verwelkte Blüten abkneifen und dann die Töpfe auf zwölfer Paletten
stapeln.
    Das Frühlingsgeschäft läuft seit ein paar Wochen auf
Hochtouren. Baumärkte, Blumenläden und Supermärkte warten auf ihre bestellten
Stiefmütterchen, Primeln, Tulpen und Narzissen. Nach dem langen Winter sind die
Menschen total verrückt nach den Frühjahrsblühern. Erst seit eineinhalb Wochen gibt
es keine Nachtfröste mehr. Eine Garantie, dass das Wetter nicht noch einmal
umschlägt gibt es nicht.
    Den Leuten ist es egal. Sie bepflanzen Schalen und
Kübel, vor Haustüren und auf Terrassen. Andere holen den Frühling einfach ins
Wohnzimmer. Mimi überlegt, wo wohl ihre gestapelten Primeln landen, wenn sie
heute Abend mit dem voll bepackten LKW auf ihre Reise gehen.
     
    In der Gärtnerei zu arbeiten gehört zu den

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