Nachtwelt
Landstrasse zurück zu legen, macht sie das Radio
lauter und öffnet das Autofenster. Unrhythmisch, aber fröhlich, klopft sie die
Melodie des Liedes mit. Es ist nicht mehr weit bis nach Dagebüll und sie muss
nicht befürchten unpünktlich den Fähranleger zu erreichen.
Auf dem vorgelagerten Parkplatz des
Fährbetriebes stellt Mimi ihr Auto ab. Den Rucksack geschultert, ihr Kleid über dem Arm,
marschiert sie zu den Anlegern. Schon von weitem sieht sie die wartende Gruppe,
die mit ihr nach Amrum fahren wird. Einige kennt sie bereits, die anderen wird
sie im Laufe des Tages kennen lernen. Sie wird freundlich begrüßt. Petras Vater
legt ihr einen Arm um die Schulter und sagt: „Na, Mimi! Alles in Ordnung?“
„Ja und bei Ihnen? Schon aufgeregt?“
„Ouch, wie man so aufgeregt ist.
Hauptsache das Kind überlegt es sich nicht noch anders.“
„Das wird sie bestimmt nicht. Und wenn
haben wir wenigstens einen schönen Tagesausflug gemacht.“
Herr Buschke lacht: „Wenn man es so sieht.“
Die fast sechzig Leute tragen ihre kleinen
Reisetaschen, und Kleidersäcke auf die Fähre und nehmen einen Teil der Tische
in der Cafeteria in Beschlag. Nachdem die Fähre abgelegt hat, wird alles für
ein großes Frühstück aufgetischt. Ein Mann hat sich vor der
Hochzeitsgesellschaft aufgebaut und versucht sich Gehör zu verschaffen: „Entschuldigen
Sie!“
Die Gruppe ist laut. Alle reden
durcheinander, schieben Marmeladen hin und her und gießen sich gegenseitig
Kaffee oder Tee ein. Der Mann gibt nicht auf: „ENTSCHULDIGEN SIE!!! Dürfte ich
einen Moment um ihre Aufmerksamkeit bitten!“
Langsam kehrt Ruhe ein und endlich kann
der Mann sagen, was er sagen will: „Also, ich bin der Herr Schultz, mit tz. Das
Brautpaar hat mich engagiert, um Sie den Tag über zu begleiten und den
richtigen zeitlichen Ablauf zu garantieren. Das Brautpaar lädt Sie zu diesem
Frühstück ein, wünscht Ihnen eine angenehme Überfahrt und einen guten Appetit.
Ich werde zu gegebener Zeit wieder an Sie herantreten, damit Sie pünktlich ihre
Hochzeitsgarderobe anlegen können. Bis dahin viel Spaß.“
„Guck an. Mit Reiseleitung“, sagt Herr
Buschke zu Mimi. „Der kommt zu gegebener Zeit wieder auf uns zu…. Der hat ein
wenig einen Stock im Arsch, oder? Hochzeitsgarderobe anlegen. Ich komm’ auch
ohne den pünktlich in meine Büx.“
Als Mimi satt ist, nimmt sie einen Pott
Kaffee und geht auf eines der Decks. Sie steht an der Reling und schaut über
das Wasser. Der Wind ist nicht mehr als eine leichte Brise. Für diese
Jahreszeit und die Nordsee eher ungewöhnlich. Hoffentlich bleibt es auf der Insel so.
Wettertechnisch kann man nicht mehr erwarten, denkt Mimi.
Sie hat ihre schmerzenden Rippen vergessen
und hängt ihren Gedanken nach. Sie lässt die Jahre mit Petra vorbeiziehen. Sie
haben nie gestritten. Sie haben einander immer aushalten können. Nie hat Mimi
an der Freundschaft zu Petra gezweifelt – wahrscheinlich das einzige, woran sie
in ihrem Leben nicht gezweifelt hat. Schnell wischt sie eine Träne von ihrer
Wange. Heute ist nicht der Tag für Sentimentalität.
„So, Mimi, der Stock im Arsch hat gesagt,
dass es Zeit für die Hochzeitsgarderobe ist.“
Mimi dreht sich zu Petras Vater um und
sagt anerkennend: „Mensch, Herr Buschke. Sie sehen super aus.“
Petras Vater trägt einen dunkelbraunen
Anzug und ein cremefarbenes Hemd. Seine seidene Krawatte hat ein schönes
Muster, in dem sich die Farben von Anzug und Hemd wieder finden. Im Vorbeigehen
klopft sie Herrn Buschke auf die Schulter: „Respekt. Da müssen wir zwei heute
noch ein Tänzchen wagen.“
„Petra sagt, du kannst nicht tanzen“,
spottet Herr Buschke.
Mimi lächelt Herrn Buschke nachsichtig an
und denkt: Unglaublich. Wem sie das wohl alles erzählt hat.
In einem der Waschräume zieht Mimi ihr
schlichtes, ärmelloses Kleid, das ihr bis zu den Knien reicht, über. Seine
Farbe – Dunkelgrau. Manchmal schimmert es in einem zarten Grün. Zu dem Kleid
trägt sie eine kurze, kastenförmige Jacke aus dünnem, dunkelgrünem Leder. Sie
schlüpft in die, zur Jacke passenden Ballerinas. Bei ihrer Größe von unter 160
cm würde sie lieber hochhackige Schuhe tragen. Aber auf der Hochzeitseinladung
war vermerkt: … das Schuhwerk ist den Gegebenheiten der Insel anzupassen .
Noch bevor die Fähre anlegt hat Herr
Schultz, mit tz, von jedem der Gäste die Reisetaschen, Kleidersäcke und weitere
Dinge die nicht benötigt werden, eingesammelt.
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