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Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)

Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)

Titel: Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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Eine junge Frau kam herein. Gregorius wuchtete ihren Koffer auf die Ablage. » Muito obrigada «, sagte sie, setzte sich neben die Tür und begann, in einem französischen Buch zu lesen. Wenn sie die Beine übereinanderschlug, gab es das Geräusch eines hellen, seidenen Reibens.
    Gregorius betrachtete den versiegelten Umschlag, den Maria João nicht hatte öffnen wollen. Das darfst du erst nach meinem Tod lesen , hatte Prado gesagt. Und ich möchte nicht, daß es Adriana in die Hände fällt. Gregorius erbrach das Siegel, nahm die Blätter heraus und begann zu lesen.
     
    PORQU Ê TU, ENTRE TODAS? WARUM VON ALLEN FRAUEN GERADE DU? Eine Frage, die sich irgendwann in einem jeden bildet. Warum scheint es gefährlich, sie zuzulassen, auch wenn es nur im Stillen geschieht? Was ist so erschreckend am Gedanken der Zufälligkeit, der in ihr ausgesprochen wird und der nicht derselbe Gedanke ist wie derjenige der Beliebigkeit und Austauschbarkeit? Warum kann man diese Zufälligkeit nicht anerkennen und darüber scherzen? Warum denken wir, daß sie die Zuneigung klein machen, ja eigentlich durchstreichen würde, wenn wir sie als etwas Selbstverständliches anerkennten?
    Ich habe dich quer durch den Salon hindurch gesehen, an Köpfen und Champagnergläsern vorbei. ›Das ist Fátima, meine Tochter‹, sagte dein Vater. ›Ich könnte mir vorstellen, daß Sie durch meine Räume gingen‹, sagte ich im Garten zu dir. ›Kannst du dir immer noch vorstellen, daß ich durch deine Räume ginge?‹ fragtest du in England. Und auf dem Schiff: ›Glaubst du auch, daß wir füreinander bestimmt sind?‹
    Niemand ist für einen anderen bestimmt. Nicht nur, weil es keine Vorsehung und auch sonst niemanden gibt, der das arrangieren könnte. Nein: weil es zwischen Menschen einfach keine Zwangsläufigkeit gibt, die über zufällige Bedürfnisse und die gewaltige Macht der Gewöhnung hinausginge. Ich hatte fünf Jahre Klinik hinter mir, fünf Jahre, in denen niemand durch meine Räume gegangen war. Ich stand ganz zufällig hier, du standest ganz zufällig dort, dazwischen die Champagnergläser. So war es. Nicht anders.
    Es ist gut, daß du das nicht lesen wirst. Warum hast du gemeint, du müßtest dich mit Mamã gegen meine Gottlosigkeit verbünden? Ein Anwalt der Zufälligkeit liebt doch nicht weniger. Und weniger loyal ist er auch nicht. Eher mehr.
     
    Die lesende Frau hatte die Brille abgenommen und putzte sie. Ihr Gesicht hatte wenig Ähnlichkeit mit dem Gesicht der namenlosen Portugiesin auf der Kirchenfeldbrücke. Eines aber hatten sie gemeinsam: den ungleichen Abstand zwischen Augenbrauen und Nasenwurzel, die eine Braue hörte früher auf als die andere.
    Er würde sie gern etwas fragen, sagte Gregorius. Ob das portugiesische Wort glória neben Ruhm auch Seligkeit im religiösen Sinne bedeuten könne?
    Sie dachte nach, dann nickte sie.
    Und ob ein Ungläubiger es benützen könnte, wenn er von demjenigen sprechen möchte, das übrigbleibe, wenn man von der religiösen Seligkeit die religiöse Seligkeit abziehe?
    Sie lachte. »Que c’est drôle! Mais… oui. Oui. «
    Der Zug verließ Burgos. Gregorius las weiter.
     
    UM MOZART DO FUTURO ABERTO. EIN MOZART DER OFFENEN ZUKUNFT . Du kamst die Treppe herunter. Wie Tausende von Malen zuvor sah ich zu, wie immer mehr von dir sichtbar wurde, während der Kopf bis zuletzt hinter der Gegentreppe verborgen blieb. Stets hatte ich das noch Verdeckte in Gedanken ergänzt. Und immer gleich. Es stand fest , wer da herunterkam.
    An diesem Morgen war es mit einemmal anders. Spielende Kinder hatten am Vortag den Ball gegen das farbige Fenster geworfen und die Scheibe zerbrochen. Das Licht auf der Treppe war anders als sonst – statt des goldenen, verschleierten Lichts, das an die Beleuchtung in einer Kirche erinnerte, flutete das ungebrochene Tageslicht herein. Es war, als schlüge dieses neue Licht eine Bresche in meine gewohnten Erwartungen, als risse etwas auf, das mir neue Gedanken abverlangte. Ich war plötzlich neugierig darauf, wie dein Gesicht aussehen würde. Die plötzliche Neugierde machte mich glücklich und ließ mich doch auch zusammenfahren. Es war Jahre her, daß die Zeit der werbenden Neugier zu Ende gegangen war und die Tür sich hinter unserem gemeinsamen Leben geschlossen hatte. Warum, Fátima, hatte ein Fenster zerbrechen müssen, damit ich dir wieder mit offenem Blick begegnen konnte?
    Ich habe es dann auch mit dir versucht, Adriana. Doch unsere Vertrautheit war bleiern

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