Nachtzug
es andere gab, die ihnen halfen, würde er ihre Namen bis zum letzten herausbekommen. Er wußte, daß er mit den feinen Foltertechniken, die er während seines Jahrs in Majdanek gelernt hatte, jedes Geständnis aus ihnen herauspressen konnte.
Maria arbeitete weiterhin in dem Labor in Warschau und achtete stets darauf, niemandem zu begegnen, den sie von früher her kannte, als sie in demselben Krankenhaus als Ärztin gearbeitet hatte. Doch das lag schon fast fünf Jahre zurück, und beinahe alle Gesichter hatten sich verändert. Die meisten Polen, bis auf diejenigen in untergeordneten Positionen, waren durch Deutsche ersetzt worden. Einmal hatte sie Fritz Müller bei einer seiner unregelmäßigen Laborinspektionen gesehen, doch sie hatte sich ferngehalten, und er hatte sie nicht bemerkt.
Es war Ende Mai, als Maria eine neue Apparatur bemerkte, die am anderen Ende des großflächigen Laboratoriums aufgebaut wurde. Als sie sich beiläufig danach erkundigte, erfuhr sie, daß die neuen Komplementbindungs-Reaktionstests als Ergänzung zum Weil-Felix-Test jetzt anlaufen sollten.
Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als sie die Neuigkeit vernahm. Sie wußte, es konnte sich nur noch um wenige Tage handeln, bevor herauskäme, daß mit den Blutproben aus Sofia etwas nicht stimmte.
{341} Sie beugte sich wieder über ihre Arbeit, die darin bestand, Spenderblut für den OP auf seine Verträglichkeit zu überprüfen, und tat so, als sei sie davon völlig in Anspruch genommen. In Wirklichkeit aber galt ihre ganze Aufmerksamkeit dem geschäftigen Treiben am anderen Ende des Raums.
Bald verbreitete sich im ganzen Labor die Nachricht, daß der Komplementbindungs-Reaktionstest wesentlich genauer sei als der zuvor durchgeführte Weil-Felix-Test und daß bis dahin alle Proben, die Weil-Felix-positiv gewesen waren, völlig mit den positiven Ergebnissen der Komplementbindungs-Reaktion übereinstimmten.
Später am Tag jedoch schlug die Stimmung am anderen Ende des Raums plötzlich um. Eine anfängliche leichte Verwirrung wich völliger Fassungslosigkeit, als sich definitiv herausstellte, daß alle Blutproben aus Sofia bis auf eine einzige Weil-Felix-positiv waren, bei der Komplementbindungs-Reaktion aber negative Ergebnisse zeigten.
Dann hörte Maria einen der Laboranten nach Dr. Müller rufen. Wenig später beobachtete Maria, wie sich der große, blasse Arzt über die neuen Apparaturen und Reagenzgläser beugte und die verblüffenden Ergebnisse persönlich überprüfte. Selbst von dort, wo sie stand, konnte Maria die Zornesröte sehen, die an seinem Hemdkragen hinaufkroch und schließlich sein ganzes Gesicht überzog. Und sie nahm auch die unterdrückte Wut in seinen Augen wahr.
Leider konnte sie nicht verstehen, was er sagte, aber sein Verhalten und seine Gestik deuteten darauf hin, daß das Rätsel von Sofia gelöst war.
Ihre Hände begannen zu zittern. Wankend entfernte sie sich von der Werkbank, über der sie gearbeitet hatte, und duckte sich hinter eine Reihe von Laborschränken, wo sie sich keuchend gegen eine Wand lehnte. Von ihrem Versteck konnte sie den verwunderten Gesichtsausdruck der Laboranten sehen. Dann fiel ihr Blick auf das Zentralregister, in dem alle Resultate festgehalten wurden. Später am Nachmittag würde es weggeholt, und die Ergebnisse würden per Fernschreiber an die jeweiligen Gestapo-Hauptquartiere gesandt, aus deren Bezirken die Blutproben stammten. Dort würden die Ergebnisse dann an die betreffenden Ärzte verteilt.
Es dauerte nicht lange, bis sich die Aufregung legte und Dr. Müller aus dem Labor stürmte. Die Laboranten schüttelten den Kopf und {342} machten sich wieder an die Arbeit. Bald kehrte wieder Ruhe ein, und alles nahm seinen üblichen Lauf.
Maria beschloß, einen kleinen Rundgang durchs Labor zu machen. Wenige Augenblicke später erreichte sie das andere Ende des Raums, und während sie mit den Laboranten ein paar scherzhafte Bemerkungen austauschte, gelang es ihr, einen Blick ins Zentralregister zu werfen. Was sie sah, ließ sie völlig erstarren.
Dr. Müller hatte nur die Weil-Felix-Tests eingetragen. Die Ergebnisse der Komplementbindungs-Reaktion waren nicht aufgeführt!
Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie dort gestanden und wie betäubt auf das Buch gestarrt hatte. Doch als sie sich schließlich losriß und an ihren Arbeitsplatz zurückkehrte, an dem sie die Kreuzproben machte, arbeitete ihr Gehirn auf Hochtouren.
Fritz Müller hatte die Resultate der
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