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Nachtzug

Titel: Nachtzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood , Gareth Wootton
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Fischs ein kleines Lagerfeuer, das sie vor Einbruch der Dämmerung sorgfältig austraten. Als es schließlich völlig dunkel geworden war, verstauten die beiden Flüchtlinge ihre Habe im Beiwagen und kehrten auf die Straße zurück, die zur rumänischen Grenze führte.
    Um diese Zeit waren nur wenige andere Reisende auf der Straße unterwegs. Deutlich zeichneten sich im Schein des Vollmonds die Berge gegen den Himmel ab. Große Wolkenbänke brauten sich am Horizont zusammen und verliehen dem Himmel etwas Bedrohliches, als Hans und Anna auf den letzten deutschen Kontrollpunkt vor der Grenze zusteuerten.
    Hans beobachtete den Verlauf der Telefondrähte und beschloß, das Risiko einzugehen, sie vorsorglich zu kappen. Der letzte und entscheidendste Teil ihres Fluchtplans hing einzig und allein von ihrer Fähigkeit ab, die Grenzwachen, und sei es nur für einen Augenblick, von der Geschichte zu überzeugen, die Keppler ihnen auftischen würde. An einer Stelle, die nach seiner Einschätzung etwa fünf Kilometer von dem Kontrollpunkt entfernt liegen mochte, hielt er das Zweirad an, erklomm den Mast und durchtrennte Telefon- und Telegrafenleitungen. Kepplers Hände wurden feucht, und sein Mund war wie ausgetrocknet, als sie sich der Wachstation mit dem Schlagbaum näherten, der den Ankömmlingen die Durchfahrt versperrte. Der Grenzposten lag in einem engen Tal, was ein Umfahren der Barrikaden unmöglich machte. Keppler fühlte sich plötzlich wie ein im Netz gefangener Fisch. Auch für ihn gab es jetzt kein Zurück mehr, sondern nur noch den Weg nach vorn in die Arme der mit Maschinenpistolen bewaffneten Wachen, die das Motorengeräusch gehört hatten und schußbereit dastanden, als er heranfuhr.
    {335} Hans hatte diese Situation vorausgesehen und begann sofort seine Rolle zu spielen. »Heil Hitler!« rief er den Wachen zu, während er an den Straßenrand fuhr und das Motorrad neben dem Wachhaus abstellte.
    Die Wachen, beide Soldaten der regulären Armee, erschraken, als sie die beiden SS -Männer sahen und beeilten sich, den Gruß zu erwidern: »Heil Hitler!«
    »Kommen Sie herein!« forderte Keppler sie in dienstlichem Tonfall auf und marschierte auf das Wachhaus zu, als führe er das Kommando.
    Die verwirrten Soldaten folgten ihm in die kleine Baracke. Anna, die die ganze Zeit über geschwiegen hatte, stieg aus dem Beiwagen, hielt den beiden Wachen aber den Rücken zugewandt und gab vor, Gepäck auszuladen.
    »Wir entbinden Sie von Ihrem Dienst hier«, erklärte Hans gebieterisch. »Sie haben sich sofort bei Ihrer Einheit zurückzumelden. Es findet ein organisierter Rückzug statt – oder vielmehr eine Umgruppierung nach hinten. Die Russen haben den Zbrucz überwunden und werden innerhalb von vierundzwanzig Stunden in dieser Gegend hier einfallen. Sie nehmen keine Gefangenen.«
    Die Wachen machten ein entsetztes Gesicht.
    »Die SS hat den Auftrag, bis zum letzten Mann standzuhalten. Bringen Sie beide sich in Sicherheit, solange noch Zeit ist.«
    »Jawohl, Rottenführer. Ich werde unser Motorrad holen.«
    Einer der Wachposten rannte aus der Baracke hinter eine Barrikade aus Strauchwerk und warf den Motor eines Zweirads an. Der zweite Wachsoldat grüßte Keppler und eilte seinem Kameraden nach. Als Anna sah, daß beide Männer das Wachhaus verlassen hatten und sich zur Abfahrt bereitmachten, rannte sie in die Baracke zu Hans.
    Die beiden standen über den Schreibtisch gebeugt und studierten die daraufgeheftete Landkarte, während sie auf die Abfahrt des Motorrades warteten. Die Maschine dröhnte und krachte aus ihrem Versteck hinter dem Gestrüpp.
    Plötzlich flog die Tür auf. Der größere der beiden Wehrmacht-Soldaten stand im Eingang und hielt seine Maschinenpistole schußbereit auf Kepplers Brust gerichtet.
    »Hände hoch, alle beide!« bellte er. Über die Schulter rief er: »In {336} Ordnung, Karl, stell das Motorrad ab! Ich habe jetzt beide zusammen!« Der Mann grinste Hans und Anna hämisch an. »Für wie dumm haltet ihr uns eigentlich? Habt ihr wirklich geglaubt, wir würden zwei Deserteure nicht auf Anhieb erkennen?«

26
    Maria Duszynska kehrte in ein verwüstetes, vom Krieg gebeuteltes Warschau zurück. Mit Bestürzung stellte sie fest, wie sehr die Stadt sich verändert hatte und wie wenig aus den Tagen ihrer Kindheit oder aus ihrer Studienzeit geblieben war. Die Zerstörung war unfaßbar. Ganze Häuserblocks lagen in Schutt und Asche. Das Getto war völlig dem Erdboden gleichgemacht. An ihrem ersten Morgen

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