Nackt unter Wölfen
Scharführer im Bad verschwunden war, sank Jankowski erschöpft auf den steinigen Boden nieder. Der stechende Schmerz in der Hand war zu einem stumpfen Pulsen abgeklungen. Mit hängendem Kopf saß Jankowski eine ganze Weile und schreckte auf, als er heftig gerüttelt wurde. Einer von den Häftlingen, die den Zug begleitet hatten, stand vor ihm, es war ein Angehöriger des Lagerschutzes. Er sprach polnisch: »Du, nicht schlafen.«
Jankowski erhob sich unsicher.
Die meisten waren schon nackt. Jämmerliche Gestalten, die im kalten Sprühregen zitternd vor den Friseuren standen, hatten sich aus den zerschlissenen Lumpen herausgeschält. Mit Handmaschinen wurden ihnen alle Körperhaare abgeschoren.
Jankowski versuchte, mit der gesunden Hand die dürftige Kleidung abzustreifen. Der Pole vom Lagerschutz half ihm dabei.
Zwei Häftlinge gingen indessen umher und stöberten in den abgelegten Sachen herum, um gelegentlich einen Sack oder ein verschnürtes Bündel prüfend aufzunehmen. Jankowski erschrak.
»Was suchen die da?«
Der Lagerschutzler drehte sich nach den beiden um und lachte gutmütig.
»Das sind Höfel und Pippig von der Effektenkammer.«
Er machte eine beruhigende Geste zum Koffer.
»Hier klaut dir keiner was. Nun geh schon, Bruder, und lass dich scheren.«
Jankowski balancierte auf nackten Füßen über den spitzen Schotter zu den Friseuren.
Vor dem Eingang des Bades verursachte der Scharführer wieder Gedränge und Geschrei und trieb die Zugänge in einen großen Holzbottich.
Fünf, sechs Mann zugleich. Sie mussten in eine vom langen Gebrauch stinkend gewordene Desinfektionslauge tauchen.
»’runter mit die Köppe, ihr Stinktiere!«
Mit einem dicken Knüppel fegte er über die kahlgeschorenen Köpfe hinweg, die schleunigst in der Jauche verschwanden.
»Der ist wieder mal besoffen«, raunte der kleine, ein wenig krummbeinige Pippig, ehemals Schriftsetzer aus Dresden.
Höfel beachtete die Bemerkung nicht. Er stieß gegen Jankowskis Koffer:
»Möchte wissen, was die alles mitgeschleppt haben …«
Als sich Pippig nach dem Koffer bückte, stolperte Jankowski herbei. Angst flatterte in seinem Gesicht. Er {stieß Pippig beiseite und} sprudelte auf die beiden ein. Sie verstanden den Polen nicht.
»Wer bist du?«, fragte Höfel. »Name, Name.«
Das schien der Pole zu verstehen.
»Jankowski, Zacharias, Warschawa.«
»Ist das dein Koffer?«
»Tak, tak.«
»Was hast du da drin?«
Jankowski redete, gestikulierte und hielt die Hände schützend über den Koffer.
Der Scharführer stürzte aus dem Bad und trieb mit Flüchendie Menschen vor sich her. Um Aufsehen zu vermeiden, schob Höfel den Polen in die Reihe der Nackten zurück. Jankowski fiel dem Scharführer gerade in die Hände hinein, der packte ihn am Arm und schlenkerte ihn ins Bad. So musste Jankowski in den Bottich steigen und wurde dann von den sich ängstlich Drängenden in den Baderaum gedrückt.
Die feuchte Wärme wirkte wohltuend auf seinen durchfrosteten Körper, und unter der Brause wurde Jankowski angenehm willenlos. Spannung und Angst lösten sich auf, und seine Haut saugte gierig die Wärme in sich ein.
Pippig kauerte sich neugierig nieder und öffnete den Koffer.
Sofort aber schlug er den Deckel zu und blickte bestürzt zu Höfel auf.
»Was ist?«
Pippig öffnete den Koffer wieder, aber nur so weit, dass Höfel, der sich gebückt hatte, eben noch hineinsehen konnte.
»Mensch, mach zu!«, zischte der, schnellte aus der gebückten Haltung hoch und sah sich ängstlich nach dem Scharführer um. Der war im Bad.
»Wenn die das spitzkriegen …«, flüsterte Pippig.
Höfel machte ungeduldige Handbewegungen.
»Weg damit! Verstecken! Schnell!«
Wie ein Dieb schielte Pippig nach dem Bad, und als er sicher war, nicht beobachtet zu werden, lief er mit dem Koffer eilig nach dem Steingebäude und verschwand.
Im Baderaum ging Leonid Bogorski zwischen den Brausen hin und her und musterte die Zugänge. Er war nur mit einer dünnen Drillichhose bekleidet, und an den Füßen trug er Holzpantinen. Sein athletischer Oberkörper glänzte vom Wasser. Der Russe, Kapo oder Vorarbeiter des Badekommandos, hielt sich bei Zugängen am liebsten im Hintergrund auf, hier wurde er vom Scharführer nicht gestört, der hatte am Bottich sein Vergnügen.
Unter dem warmen Rauschen des Wassers kamen die verstörten Menschen zum ersten Male seit ihrem Eingang ins Lager zur Ruhe. Als ob das Wasser alle Unrast, alle Angst und überstandene Schrecknisse von
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