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Nackt unter Wölfen

Nackt unter Wölfen

Titel: Nackt unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Apitz
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ihnen abgespült hätte. Diese immer wieder aufs Neue sich einstellende Verwandlung kannte Bogorski. Er war noch jung, kaum 35 Jahre. Fliegeroffizier. Doch das wussten die Faschisten des Lagers nicht. Für sie war er ein russischer Kriegsgefangener, der, wie die vielen anderen auch, aus einem Feldlager nach Buchenwald gebracht worden war. Bogorski tat alles, um seine Anonymität zu sichern. Er gehörte dem Internationalen Lagerkomitee an, dem ILK, einem streng geheimen Komitee im Lager, von dessen Vorhandensein außer den wenigen Eingeweihten kein Häftling, geschweige die SS wusste.
    Bogorski ging still zwischen den Brausen hin und her. Sein Lächeln genügte bereits, um den Neulingen ein kleines Gefühl der Sicherheit zu geben. Vor Jankowski blieb er stehen und betrachtete sich den schmächtigen Mann, der sich mit geschlossenen Augen der Wohltat des warmen Regens hingab.
    Wo mag dieser jetzt wohl sein?, dachte Bogorski, lächelte still, dann fragte er in perfektem Polnisch:
    »Wie lange wart ihr unterwegs?«
    Jankowski, aus einem fernen, fremden Traum gerissen, öffnete erschrocken die Augen.
    »Drei Wochen«, antwortete er und lächelte zurück. Obwohl er erfahrungsgemäß wusste, dass Schweigen der beste Schutz war, noch dazu in einer neuen, noch unbekannten Umgebung, hatte Jankowski plötzlich das Bedürfnis, sich mitzuteilen.
    Hastig {flüsternd}, mit unruhig schweifenden Blicken, erzählte er vom Marsch nach Buchenwald. Er berichtete von den Schrecken der Evakuierung {, berichtete, wie sie von der SS aus dem Lager Auschwitz gehetzt worden waren, und schilderte die Bluthunde und niedersausenden Gewehrkolben}.Wochenlang waren sie auf den Landstraßen dahingewankt, hungrig und schwach, ohne Ruhe und ohne Pause. – Des Nachts hatte man sie auf Feldern zu einem Haufen zusammengetrieben, und sie waren erschöpft auf steinhart gefrorenen Sturzäckern in den Schnee gesunken, eng aneinandergerückt, um sich gegen den grausamen Nachtfrost zu schützen. Wie viele waren am anderen Morgen nicht wieder zum Weitermarsch angetreten! Abteilungen der Begleit-SS gingen dann über die Äcker und knallten ab, was noch am Leben war. Bauern fanden die Leichen und vergruben sie auf den Feldern. Wie viele waren unterwegs in die Knie gebrochen. Wie oft knallten dann die Karabiner. Und jedes Mal, wenn die Fangschüsse peitschten, wurde der Zug im Laufschritt vorwärtsgejagt.
    »Lauft, ihr Schweine! Lauft, lauft!«
    Als Jankowski schwieg, weil nichts mehr zu berichten war, fragte Bogorski: »Wie viel sind von Auschwitz abmarschiert?«
    Jankowski antwortete leise: »Es waren dreitausend …«
    Über sein Gesicht zuckte ein ergebenes Lächeln. Er wollte noch mehr sagen. Es drängte ihn, irgendjemandem in diesem fremden Lager das Geheimnis seines Koffers anzuvertrauen, aber [das Pfeifensignal des Scharführers schrillte, die Brausen versiegten, und der Scharführer trieb die Menschen durcheinander. –
     
    Ein alter, wohl an die 60 Jahre zählender SS-Mann kam um die Ecke der Effektenkammer auf die Zugänge zu. Erschrocken flüsterten einige vom Lagerschutz: »Achtsehn! Papa Berthold kommt.« Sie verdrückten sich schleunigst vor dem Alten, der in wulstigen, von übermäßigen Frostballen der Füße stark deformierten Knobelbechern daherstapfte. In dem bräunlichen, vom Alter schlaff gewordenen Faltengesicht saßen zwei kleine lustige Augen nah beieinander, undüber der vorgerutschten Unterlippe hing eine kurze Tabakspfeife.
    Zuerst griff sich Berthold zwei Mann vom Lagerschutz, die sich vor ihm nicht schnell genug hatten in Sicherheit bringen können, und schickte sie mit einer Handbewegung nach der gegenüberliegenden Mauer ans Wäschereigebäude. – Er grinste nur freundlich, als er das Widerstreben der Lagerschutzler bemerkte. Dann ging er durch den Haufen der Zugänge. Wie ein Lumpensammler las er alle vor Erschöpfung Zusammengebrochenen auf und ließ sie von anderen Lagerschutzlern zur Mauer tragen. Besonders krank erscheinende und alte Zugänge schickte er freundlich zu den Übrigen an der Mauer. Der Scharführer des Bades, der herauskam und Berthold gewahrte, rief ihm zu: »Du machst wohl wieder Luft, Wilhelm?«
    Berthold grinste und hielt die Pfeife mit den Zähnen fest. Als er genug beisammenhatte, mussten die Lagerschutzler aus den Abgesonderten einen Zug bilden, die Erschöpften wurden aufgenommen, und Berthold zählte gewissenhaft durch.
    »Genau 32«, nickte er den Lagerschutzlern vertraulich zu und ließ, vorangehend,

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