Nackt
die Windschutzscheibe gedrückt, aber nicht in die Schulbücher gesteckt, offensichtlich. Die Schule war für mich ohne jedes Interesse. Ich verbrachte meine Tage mit Warten, Warten darauf, endlich in das dunkle Schlafzimmer unseres neuen Hauses zurückzukehren, wo ich mit den Augen rollen, Radio hören und in Frieden wackeln konnte.
Ich gewöhnte mir an, brutal mit dem Kopf zu wackeln, von dem Gefühl aufgestachelt, welches mein Hirn hervorrief, wenn es gegen den einengenden Schädel schwappte. Es fühlte sich so gut an und nahm so wenig Zeit in Anspruch: Nur ein paarmal schnell geruckelt und ich war bis zu fünfundvierzig Sekunden lang befriedigt. «Setzen Sie sich; ich hole Ihnen rasch was Kühles zu trinken.» Meine Mutter ließ meine Lehrerin aus der fünften und dann aus der sechsten Klasse in der Frühstücksnische stehen, während sie in die Küche ging, um Eiswürfel aus dem Gefrierfach zu brechen. «Sie sind wegen des Kopfwackelns hergekommen, stimmt’s?», rief sie. «Das ist mein Herr Sohn; da gibt es kein Vertun.» Sie schlug vor, die Lehrkräfte sollten meinen zuckenden Kopf als zustimmendes Nicken interpretieren. «Das tu ich auch und jetzt muss er die nächsten fünf Jahre den Abwasch machen. Ich frage, er zuckt mit dem Kopf und die Sache ist geregelt. Tun Sie mir aber bitte einen Gefallen und lassen Sie ihn nicht länger als bis fünf nachsitzen. Ich brauche ihn hier zum Aufräumen und Bettenmachen, bevor sein Vater nach Hause kommt.»
Das gehörte zum Auftritt meiner Mutter. Sie spielte den Anheizer, pfff auf der Pfeife und verzauberte die Menge mit ihren Witzen und übertriebenen Geschichten. Wenn Gesellschaft kam, tat sie oft, als hätte sie die Namen ihrer sechs Kinder vergessen. «He, George, oder Agnes, oder wie du heißt, renn doch mal ins Schlafzimmer und finde mein Feuerzeug.» Sie bemerkte meine Macken und Gewohnheiten, ließ sich aber von keiner je beschämen oder ernsthaft beunruhigen. Ihre Betrachtungen wurden gesammelt und als Teil einer Nummer vorgetragen, die wenig Ähnlichkeit mit unserem wirklichen Leben aufwies.
«Es ist nicht leicht zu erraten, aber ich wette, Sie sind wegen der kleinen Stimmchen hier», sagte sie und bot meiner Lehrerin aus der siebten Klasse, die gerade zu Besuch da war, ein Glas Sherry an. «Ich überlege, ob ich mit ihm zu einem Exorzisten gehe, oder ob ich ihm eine Puppe kaufe, damit er ein bisschen Geld als Bauchredner nach Hause bringt.»
Er war aus dem Nichts aufgetaucht, mein verzweifelter Drang, ganz hinten in meiner Kehle hohe Geräusche zu produzieren. Das waren keine Wörter, sondern Laute, die ein Bedürfnis befriedigten, welches mir noch nie zuvor aufgefallen war. Die Laute wurden nicht mit meiner Stimme geäußert, sondern mit der Stimme einer fingerhutgroßen, launischen Diva, die sich unten an mein Gaumenzäpfchen klammerte. «Iiiiiiii – ammmmmmmmmm – aaaah – aaah – miiiiiiii.» Ich war der Wirt dieses Geheuls, aber unfähig, es zu kontrollieren. Wenn ich während des Unterrichts losschrie, drehten sich die Lehrkräfte vor ihrer Wandtafel um und zeigten einen zunehmend bestürzten Gesichtsausdruck. «Reibt da jemand an einem Ballon? Wer macht diesen Lärm?»
Ich versuchte mir Ausreden einfallen zu lassen, aber alles klang unglaubwürdig: «In meiner Kehle wohnt eine Biene.» Oder: «Wenn ich nicht alle drei Minuten meine Stimmbänder trainiere, kann ich wahrscheinlich nie wieder schlucken.» Das Lärmmachen ersetzte keine meiner bisherigen Angewohnheiten, es war lediglich eine weitere Vervollständigung dessen, was zu einer unberechenbaren, ausgeflippten Mackensammlung geworden war. Schlimmer als das ständige Aufjaulen und Zusammenzucken war die Angst, der morgige Tag könne noch Schlimmeres bringen, ich würde mit dem Drang aufwachen, anderen Leuten am Kopf zu ruckeln. Ich konnte ganze Tage zubringen, ohne die Augen zu rollen, aber es kam alles zurück, sobald mein Vater sagte: «Siehst du, ich wusste, dass du es dir abgewöhnen kannst, wenn du es dir nur richtig vornimmst. Wenn du jetzt nur noch den Kopf stillhältst und nicht mehr diese Geräusche machst, hast du’s geschafft.»
Was habe ich geschafft? fragte ich mich. Oft stellte ich mir, während ich wackelte, meine Karriere als Filmstar vor. Da war ich bei der Premiere unter einem flutlichterhellten Himmel, einen Satinschal locker um den Hals geworfen. Mir war klar, dass die meisten Schauspieler eine Liebesszene wahrscheinlich nicht unterbrechen würden, um die Nase gegen
Weitere Kostenlose Bücher