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Nackt

Nackt

Titel: Nackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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das Kamera-Objektiv zu drücken oder während eines dramatischen Monologs ein schnelles «Iiiiiii – asaaaaah» zu plärren, aber in meinem Fall machte die Welt bestimmt eine Ausnahme. «Ein bewegender und anrührender Streifen», würden die Zeitungen urteilen. «Eine elektrisierende schauspielerische Leistung, bei der einem die Augen aus den Höhlen quellen, bei der das Publikum kreischt, und bei der die Kritik nur noch ‹Oscar, Oscar, Oscar!› nicken kann.»
    Ich würde gern annehmen, dass meine nervösen Angewohnheiten auf der High School abflauten, aber die Klassenfotos sprechen eine andere Sprache. «Wenn man die fehlenden Pupillen hinein zeichnet, ist das Foto gar nicht mal so übel», sagte meine Mutter. In Gruppenaufnahmen war ich leicht als das Verschwommene in der letzten Reihe zu identifizieren. Eine Zeit lang glaubte ich, ich würde, wenn ich meine Angewohnheiten durch verschrobene Garderobe ergänzte, eher als exzentrisch denn als schlicht zurückgeblieben betrachtet. Ich hatte unrecht. Nur ein erklärter Idiot wäre über die Korridore meiner High School in einem bodenlangen Kaftan gewandelt, und was die zahllosen Medaillons betraf, die mir am Halse hingen, so hätte ich genauso gut eine Kuhglocke tragen können. Sie klirrten und klimperten bei jedem Kopfrucken und erregten Aufmerksamkeit, wenn ich ohne sie unbemerkt hätte passieren können. Meine übergroße Brille erlaubte lediglich einen noch klareren Blick auf meine rollenden, zuckenden Augen, und die klobigen Plateausohlen hinterließen dicke Beulen, wenn ich sie dazu nutzte, mir diskret gegen die Stirn zu pochen. Ich war kein schöner Anblick.
    Ich kann mich irren, aber meinen Berechnungen zufolge bekam ich während meines gesamten ersten Jahrs auf dem College genau vierzehn Minuten Schlaf. Ich hatte immer mein eigenes Schlafzimmer gehabt, einen peinlich sauber gehaltenen und aufgeräumten Ort, an welchem ich meinen Gewohnheiten privat frönen konnte. Nun sollte ich einen Zimmergenossen bekommen, einen wildfremden Menschen, der mir qua gottgegebenes Existenzrecht meine liebgewordenen Lebensgewohnheiten vergällen würde. Der Gedanke war beschämend und ich fuhr volle Pulle in der Universität ein.
    «Die Ärzte sagen, wenn ich ihn kräftig genug durchschüttle, besteht die berechtigte Hoffnung, dass der Gehirntumor auf eine Größe schrumpft, welche eine Operation unnötig macht», sagte ich, als mein Zimmergenosse zum ersten Mal bemerkte, wie ich mit dem Kopf ruckelte. «Bis dahin wollen die anderen Fachärzte, dass ich diese Augenübungen mache, um das Kornealgewebe, wie sie es nennen, zu kräftigen. Ständig renne ich zum Arzt, aber was will man machen, stimmt’s? Pack deine Sachen aus, gewöhn dich schon mal ein bisschen ein. Ich werd nur rasch diese Steckdose mit einem Buttermesser überprüfen und ein paar Gegenstände auf meiner Kommode umstellen. Geht wiiiiie geschmiert; aaaaaaaalles eine Frage der Übung.»
    Es war schon schwer genug, sich Ausreden einfallen zu lassen, aber die echte Qual kam, als ich gezwungen wurde, mit Wackeln aufzuhören.
    «Haltet ein, o Romeo», stöhnte mein Zimmergenosse in der ersten Nacht, als er meine Bettfedern quietschen hörte. Er wähnte mich masturbierend, und obwohl ich ihn gern korrigiert hätte, sagte mir etwas, ich würde keinerlei Punkte machen, wenn er erfuhr, dass ich schlicht im Bett wackelte, genau wie jeder andere achtzehn Jahre alte College-Student. Es war eine Folter, dazuliegen und nichts zu tun. Selbst mit Kofferradio und Kopfhörern hatte es keinen Sinn, Musik zu hören, wenn man nicht mit dem Kopf auf dem Kopfkissen auf und ab wackeln konnte. Im Wesentlichen ist Wackeln waagerechtes Tanzen, und es erlaubte mir, privat etwas zu treiben, was ich in der Öffentlichkeit verabscheute. Mit dem ruckelnden Kopf, den rollenden Augen und den raschen, dolchstoßartigen Gesten hätte ich eine Sensation sein können, wäre ich aus dem Bett gestiegen und hätte meine Macken auf einem Tanzboden eingesetzt. Ich hätte meinem Zimmergenossen sagen sollen, ich sei Epileptiker, und es dabei belassen sollen. Dann wäre er zwar ununterbrochen durch den Raum gehetzt, um mir den Spatel von einem Eis am Stiel zwischen die Zähne zu rammen, aber na und? Ich war es gewohnt, mir Splitter aus der Zunge zu klauben. Was, so fragte ich mich, erwartete man denn von einem Durchschnittsmenschen, während er in einem verdunkelten Zimmer ausgestreckt lag? Es schien witzlos, unbeweglich herumzuliegen und sich ein

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