Nackte Angst
anwesenden Kriminalisten sei, wanderte der Blick des Wachtmeisters durch den niedrigen Raum. Erstaunt stellte er den Uhrstand fest.
„Drei Uhr morgens! — Das kann doch nicht möglich sein?" murmelte er vor sich hin.
„Sagten sie etwas?" hörte er den Mann fragen.
„Well! — Ich stelle eben fest, daß Sie Ihre Uhr so ziemlich auf Federabend gestellt haben. Drei Uhr, das ist doch ein Ding der Unmöglichkeit."
„Was glauben Sie denn, wie spät wir haben?" wurde dem Boy das Benehmen des Wachtmeisters immer rätselhafter.
„Nun, ich weiß zwar nicht wohin mich Ihre lieben Kollegen gefahren haben. Ich war nämlich blinder Passagier, aber ich schätze so ungefähr Mitternacht werden wir bald haben." Wachtmeister Wheeler war fest davon überzeugt, damit die nichtige Zeit angegeben zu haben. — Seine eigene Uhr das hatte er bereits festgestellt, war bei der ungleichen Auseinandersetzung mit den' Gangstern entzwei gegangen.
„Mann, Mann?" schüttelte der Eisenbahner verständnislos den Kopf.
„Sie müssen verdammt tief geschlafen daß Ihnen nun mehrere Stunden an der Zeit fehlen. — Die Uhr dort geht auf die Minute — . Eis ist genau drei Uhr und vier Minuten!" |
„Sie müssen recht haben, ich war lange ohne Bewußtsein", meinte Wachtmeister Wheeler.
„Bevor Sie mir liebenswürdigerweise erklären wo ich mir hier befinde, möchte ich aber erst wissen, ob der Anruf mit London in Ordnung geht?"
„Well! — Sobald der Apparat läutet, haben Sie London an der Strippe."
„Thanks, — und jetzt noch schnell, wo befinde ich mich hier?"
„Ganz genau bei Meilenstein 87,4 der Güterstrecke London — Dover. Das Nest hier in der Nähe heißt Ashford." Nun hatte Wachtmeister Wheeler eine präzise Ortsangabe.
Er war sehr verwundert. Wie war es nur möglich, daß die Eisenbahn innerhalb von acht Stunden nur eine Entfernung von knapp 88 Meilen zurücklegte. Nur elf Meilen in einer Stunde, so langsam fuhr doch sonst kein Zug. Hatte man ihn noch einige Stunden in London festgehalten — oder war er so tief bewußtlos gewesen, daß er nicht bemerkt hatte, daß sein Waggon stundenlang auf irgendeinem Abstellgleis stand?
Die diesbezüglich an den Mann gestellte Frage klärte seine Ungewißheit auf.
„Well Mister!— Die in den Abendstunden aus London kommenden Waggons werden bei Maidstone festgehalten und erst kurz vor Zwei in Richtung Dover weitergeleitet, um den Personenverkehr nicht zu stören."
„Thank God! — Na dann geht ja doch alles mit rechten Dingen zu", atmete Wachtmeister Wheeler erleichtert auf, — und konnte nun in etwa seine ganze Reise von London aus rekonstruieren . . .
Das Rasseln der Glocke des altertümlichen Fernsprechers in der Blockstelle riß Wachtmeister Wheeler aus seinem Sinnieren.
„Mister! — London ist in der Leitung“, der Mann gab ihm den Telefonhörer.
„Hallo Informationsraum! Hier spricht Wachtmeister Wheeler vom Sonderdezernat .
Bitte die Wohnung Kommissar Morrys!"
Einen Augenblick blieb es still in der Leitung, dann lauschte der Wachtmeister mit zusammengezogenen Brauen den Worten des Sprechers aus dem Informationsraum:
„Damn't! — Das Ding ist gut!" platzte er dann erstaunt heraus.
„Ich und schon in der Hölle, das könnte einigen Burschen so passen! — No — no, old friend! Mein Schädel kann eine ganze Menge Püffe vertragen. — Hm — und die Sache mit der Razzia war mal wieder typisch für unseren Chef. Auf den kann man sich verlassen; der räumt für einen Kollegen, wenn es sein muß, das ganze Gaunerviertel dort unten im Hafengebiet auf.
Aber nun Schluß mit dem Palaver. Verbinde mich bitte mit seinem Apparat. Ich möchte mich bei ihm bedanken, ich habe als Gegenleistung eine große Überraschung für ihn in Petto."
Wachtmeister Wheelers Gesicht hatte bei der Eröffnung der seinetwegen in London zugetragenen Ereignisse einen freudig-stolzen Ausdruck angenommen. Nun wartete er auf die Stimme seines Chefs.
„Moming Wheeler!“ klang es auch schon in der nächsten Sekunde durch die Leitung.
„Der Telefonist hat mir hocherfreut berichtet, daß Sie da sind. Unkraut vergeht nicht Wo stecken Sie jetzt?"
„In einem Stellwerk der Eisenbahn bei der Ortschaft Ashford, Sir!" — gab Wheeler Auskunft.
„Na — dann ist ja alles okay! — Wie sind Sie dahin gekommen?" wollte Kommissar Morry wissen.
„Sir", begann der Wachtmeister über sein ja noch einmal gut ausgelaufene Abenteuer in den Londoner Slums zu berichten.
„Ich war dem Burschen aus der
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