Nacktes Land
atmete er tief ein und tauchte völlig in dem dunklen Wasser unter. Der Myall stand unterdessen neben der Verschanzung aus Treibholz, zog sie auseinander und stieß seinen Speer in das Loch dahinter. Seine Füße wühlten den schlammigen Boden auf, und Dillon hielt einen Zentimeter unter der Oberfläche den Atem so lange an, daß sein Herz zu zerspringen und sein Kopf zu zerplatzen drohten. Dann ging der Myall plantschend stromaufwärts davon, und Dillon tauchte wieder auf und sog gierig die Luft ein. Als er sich weitgehend erholt hatte, schaute er sich um und entdeckte die gefährliche Lücke in dem Schutzwall aus Treibholz. Sorgfältig, Stück für Stück, reparierte er die schadhafte Stelle, während die Myalls sich stromaufwärts entfernten, wobei sie sich mit ihren kehligen klangvollen Stimmen laut verständigten.
Durch das Untertauchen und die Bewegung hatte der Verband sich gelockert, und die Wunde fing erneut zu bluten an. Dillon unterdrückte die alte Angst vor den Krokodilen, während er sich abmühte, den Verband wieder zu befestigen und seine durchweichten Kleider zu ordnen. Auf einmal war er hoffnungslos erschöpft vor Hunger, Anstrengung und durch den Blutverlust. Er spürte, daß er nicht mehr lange bei Bewußtsein bleiben konnte. Doch wenn er sich dem Schlaf überließ, würde er ins Wasser gleiten und ertrinken.
Unter Schmerzen drehte er den Kopf und suchte im Halbdunkel nach einer Wurzel oder einer Stütze, die ihn halten könnte. Weil er nichts Geeignetes fand, schnallte er seinen Gürtel auf und löste ihn aus den Schlaufen seines Hosenbundes. Die durchnäßte Hose sank ihm langsam auf die Fesseln hinunter, doch er kümmerte sich nicht darum. Er schlang den Gürtel um den Brustkorb und schnallte sich an eine schmale knollige Palmenwurzel. Auf der rauhen Rinde könnte ihn der Gürtel vielleicht halten, während er schlief. Er probierte es aus, einmal, zweimal und noch einmal, dann entspannte sich sein Körper, und sein Geist überließ sich der Illusion von Ruhe.
Es war wirklich nicht mehr als eine Illusion, denn er wurde von Schmerzen geplagt, und fiebrige Schreckensbilder standen vor seinen Augen. Schwarze grinsende Gesichter blähten sich dicht vor ihm auf und platzten wie Luftballons, Bullenhörner durchbohrten seine Rippen wie Speere. Marys Gesicht, kalt und abweisend, war voller Spott, und als seine Hände nach ihr greifen wollten, zog sie sich feindselig und mitleidlos zurück. Er verbrannte in einem dunklen Meer, er ertrank in einem kalten Feuer, als fleischloses Skelett baumelte er an einem krummen Baum.
Dann wachte er auf, nahm erleichtert das Mondlicht und das silberne Wasser wahr, den Schein der Lagerfeuer und den Duft von gebratenem Fleisch. Seine obere Körperhälfte war total verkrampft, und von der Taille abwärts hatte er überhaupt kein Gefühl mehr. Mit unendlich vorsichtigen Bewegungen befreite er sich aus dem Gürtel, dann beugte er sich vor, bekam seine Hose zu fassen und zog sie hoch. Dabei biß er sich auf die Lippen, um keinen Schrei auszustoßen, weil der Schmerz von jedem einzelnen Nerv Besitz nahm. Schließlich stand er wieder, die Füße fest auf dem Baumstumpf und den Rücken gegen die schlammige Sandbank gelehnt.
Eine Nacht an diesem Ort würde er bestimmt nicht lebend überstehen. Er mußte vor Tagesanbruch hier weg, mußte Nahrung und Wärme finden und das träge Blut wieder in Bewegung bringen. In Kürze, wenn die Myalls mit Fleisch vollgestopft waren, würden sie sich wie Tiere in den Sand legen und bis Sonnenaufgang schlafen. Dann mußte er weiter. Aber wie und wohin? Vor ihm lag der Fluß, in seinem Rücken hatte er eine Wand aus Schlamm, und über allem strahlte kalt und höhnisch der Mond der Jäger.
Mundaru, der Mann des Büffels, stand vor einem Rätsel. Er kauerte im Sand, vor sich und hinter sich ein Feuer, von innen her wohlig gewärmt vom Fleisch des Totems, und überdachte noch einmal jeden Schritt der Verfolgung von Anfang an. Von neuem berechnete er, wie viele Schritte ein gesunder Mann laufen und gehen konnte, während die Schatten um Speereslänge wuchsen. Er fügte noch eine Strecke und etwas Zeit hinzu, um unerwartete Kraftreserven des weißen Mannes zu berücksichtigen – und war noch immer davon überzeugt, daß er ihn und seine Gefährten unmöglich überholt haben konnte.
Also mußte er den Fluß verlassen und sich zum offenen Land durchgeschlagen haben. Aber an welcher Stelle? Mundaru selbst hatte jeden Zentimeter des einen Ufers
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