Nacktes Land
untersucht und war ganz sicher, daß ihm nichts entgangen war. Die Burschen vom anderen Ufer hatten mit derselben Überzeugung geschworen, daß sie nichts übersehen hätten. Aber Mundaru glaubte ihnen nicht so ganz. Das war eben der Unterschied zwischen dem einen und dem anderen Jäger. Hier lag der Grund für das alte Stammesgesetz, daß der Schwache den Starken begleiten und der Scharfäugige für diejenigen jagen mußte, die zum Zeichenlesen nicht taugten. Am Morgen wollte er selbst den Fluß überqueren und noch einmal nachschauen.
Ein Stück von den anderen entfernt saß er da, ein bemalter Mann, dessen Kiefer gleichmäßig das harte Fleisch kauten. Seine Augen streiften suchend übers Wasser und starrten dann wieder in die letzten aufzüngelnden Flammen der Kochstelle. Er sprach nicht mit den anderen, und sie sprachen nicht mit ihm, doch was sie dachten, war klar. Es war ihm nicht gelungen, den weißen Mann einzuholen, und das hatte ihn in ihren Augen herabgesetzt. Sie fragten sich, ob es nicht ein Fehler gewesen war, sich seiner Führung anzuvertrauen; ob an seiner Verbindung zu seinem Totem vielleicht etwas nicht stimmte; ob nicht ein böser Zauber von dem weißen Mann ausgehend gegen sie und besonders gegen Mundaru wirkte. Sollten ihre Zweifel andauern, so würden sie ihn wohl am Morgen verlassen, um dem Stamm und Willinja, dem Magier, die Kunde von Mundarus Versagen zu überbringen.
Mundaru selbst konnte nicht zurückkehren – aus Scham nicht und auch aus Furcht nicht, weil er nicht vollendet hatte, was das Gesetz seines Stammes verlangte. Er mußte weitermachen, bis er oder der weiße Mann tot war. Es war die gleiche Situation wie damals, als er die federgeschmückten Stiefel getragen und den geheimnisvollen Stein mit dem Namen eines Mannes betrachtet hatte.
Seine Gedanken gingen im Kreis, und er war jetzt wieder beim Ausgangspunkt angelangt. Alles hatte er gesehen, was es zu sehen gab, Gutes und Schlechtes. Jetzt brauchte er Schlaf. Er gähnte, kratzte sich, streckte seinen Körper im Sand aus und buddelte sich eine Kuhle zwischen den beiden Feuern. Dann legte er seine Speere so zurecht, daß er sie mit einer Hand leicht erreichen konnte, und ohne noch ein Wort mit seinen Begleitern zu wechseln, schloß er die Augen. Doch der Schlaf wollte nicht gleich kommen. Seine Gedanken flogen wie grüne Papageien zum Lager zurück, wo Menyan an der Seite ihres Mannes Willinja, des Zauberers, schlief.
Man hatte sie nach dem Neumond so genannt; und sie war schlank und jung. Als sie noch ein Kind war, hatte ihr Vater sie schon Willinja versprochen, weil er die Gunst eines Mannes brauchte, der die Geheimnisse der Traummenschen verstand, der Regen machen und den Tod auf einen Feind herabbeschwören konnte. Vom Augenblick dieses Versprechens an war sie mit Willinja vermählt. Sie schlief an seinem Feuer, sie wurde von seinen Frauen unterrichtet, sie lernte alles, was eine Frau wissen mußte, um ihrem Mann nützlich zu sein. Aber er nahm sie nicht, bevor sie nicht eine Frau geworden war und mit Blättern bedeckt an jenem geheimen Platz gesessen hatte, wo sie nichts zu sich nehmen durfte außer jener bestimmten Nahrung, die einer Frau während der Zeit ihrer Blutungen erlaubt war.
Für Mundaru war sie von diesem Augenblick ab verloren. Aber er begehrte sie immer noch. Er versuchte, sie allein zu treffen und ungesehen von den anderen Frauen mit ihr zu sprechen. Er war jung, ihr Mann war alt. Mundaru gefiel ihr. Das zeigten ihm ihre Augen; aber sie fürchtete ihren Mann – genau wie Mundaru auch. Willinjas Augen konnten nämlich bis ins Innerste eines Mannes eindringen, und sein Geist wandelte außerhalb seines Körpers und beobachtete, was in den verstecktesten Winkeln geschah.
Sogar jetzt, kurz vorm Einschlafen, konnte Mundaru seine feindselige Gegenwart spüren, die seine Gedanken von Menyan wegtrieb. Er durfte ihn nicht bekämpfen – jetzt noch nicht. Aber wenn der weiße Mann tot war und die Kräfte des weißen Mannes in ihn selbst eingedrungen waren, wäre er vielleicht für den offenen Kampf bereit. Ein leichter Schauer der Vorfreude überlief ihn, dann kuschelte er sich tiefer in den warmen Sand und schlief ein.
Die Burschen beobachteten ihn aus den Augenwinkeln. Sie unterhielten sich leise noch ein bißchen, dann streckten auch sie sich im Sand aus, und noch ehe die Flammen zu einer schwachen roten Glut zusammengesunken waren, schnarchten sie wie erschöpfte Tiere.
Für Lance Dillon, der eingepfercht
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