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Nacktes Land

Titel: Nacktes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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in enger, feuchter Finsternis unter den Pandangwurzeln saß, gab es jetzt einen schwachen Hoffnungsschimmer. Das Licht des Mondes fiel schräg von hinten über seinen Kopf auf das schwarze stille Wasser vor ihm. Zentimeter für Zentimeter drehte er sich in seinem Gefängnis um, und als er hochsah, konnte er etwa einen Meter über sich eine schmale Öffnung zwischen den oberen Wurzeln und der Sandbank erkennen. Er schätzte sie groß genug für Kopf und Schultern. Wenn es ihm gelänge, dort hinaufzukommen und sich hindurchzuzwängen, könnte er vielleicht die steile Böschung im Schatten der Sträucher hochklettern und den schlafenden Myalls über das flache Gras entkommen.
    Ja, wenn! Er war sehr schwach. Der eine Arm und seine Schulter waren nicht zu gebrauchen, und der turnerische Kraftakt mochte sich als viel zu anstrengend für ihn erweisen. Beim leisesten Geräusch würden die Myalls aufspringen und ihm durch den Fluß nachsetzen. Das erste Problem aber war die Böschung selbst. Die schwarze Erde war feucht und glitschig, und von den dicken Erdklumpen am Rand konnte sich einer lösen und mit Gepolter ins Wasser fallen.
    Äußerst vorsichtig fing er an, mit den Händen unmittelbar über der Wasseroberfläche eine Stütze für die Füße zu graben. Jede Handvoll Erde ließ er lautlos vom Wasser wegtreiben. Er grub tief, damit seine Füße nicht ausrutschten, und tastete das Loch rundherum nach losen Erdbrocken ab, die eventuell herunterfallen könnten. Als er zwei Löcher gegraben hatte, griff er weiter hinauf und grub noch zwei Löcher oberhalb seines Kopfes. Er zitterte. Schweiß rann ihm übers Gesicht. Seine Kleider waren völlig naß. Sobald er hochkletterte, könnten die herabfallenden Tropfen auf dem Wasser vernehmbar werden; auch könnte er sich in den verschlungenen rauhen Wurzeln verfangen.
    Er lehnte sich an eine dicke Wurzel, bückte sich ins Wasser und zog seine Stiefel aus. Er brauchte lange für diesen einfachen Handgriff. Die ledernen Schuhbänder waren eng geschnürt und glitschig. Er mußte oft ausruhen, bis er sie endlich aufbekam. Hose und Unterhemd folgten, und als er sie abstreifte, fühlte er die Egel, die schuppig und fett an ihm hingen. Er versuchte sie wegzuziehen, aber sie saugten sich nur um so fester. Er mußte es noch eine Weile dulden, daß sie sein Blut aussaugten, obwohl er sich diesen Verlust eigentlich nicht leisten konnte. Splitternackt kauerte er im Wasser und überlegte, ob er seine Kleider als Schutz gegen die Hitze des nächsten Tages aufbewahren sollte. Schließlich entschied er sich dagegen und ließ die nassen Kleidungsstücke auf den Grund sinken.
    Er war jetzt bereit – bereit für den Versuch, von dem sein Leben abhing. Er sah zu der schmalen Öffnung auf, durch die das Mondlicht schimmerte, und zog sich dann mit ungeheurer Anstrengung in die erste Fußstütze hoch. Hinter ihm im Wasser schwammen die Speerspitze und der abgebrochene Schaft, die ihm unbemerkt aus der Hand geglitten waren, als er sich zum Schlafen rüstete.

3
    Sergeant Neil Adams von der berittenen Northern Territory Polizei fühlte die Hundstage nahen. Er kannte die Symptome: tagelange Depressionen, schlaflose Nächte, das Verlangen nach Whisky oder einer Frau oder nach einem handfesten Streit – das Bedürfnis nach irgendeiner Unterbrechung der bedrückenden Monotonie in dieser gottverlassenen Einsamkeit. Diese Art von Krankheit war im ganzen Territorium verbreitet und trat so regelmäßig wie die Mondphasen auf. Alle Sprachen hatten einen Namen dafür: Weltschmerz, cafard, und die Leute im Siedlungsgebiet sagten dazu einfach ›gone trappo‹.
    Es begann mit Unlust, ja Widerwillen gegen das ewig gleichförmige Einerlei des Lebens: Essen, Arbeit, Unterhaltung und Alleinsein. Dem folgte ein wachsender Unmut, der manchmal tagelang und mitunter sogar wochenlang anhielt und in chronischen Fällen zum Dauerzustand wurde.
    Der Höhepunkt bestand in einer unruhigen Melancholie, die sich gewöhnlich in Gewalttätigkeit oder Alkohol löste, aber zuweilen auch mit Selbstmord oder Mord endete.
    Niemand, der längere Zeit in der Gegend lebte, entkam dieser Krankheit. Auf die eine oder andere Weise waren alle von ihr betroffen, so wie die Bewohner mancher Gebiete von der gelblichen Färbung einer latenten Malaria gekennzeichnet sind. Die ›Hatters‹ überließen sich ihrem Weltschmerz und den daraus folgenden Spinnereien. Herdenbesitzer und ihre Treiber fielen unterwegs in die Ortschaften ein und betranken

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