Nacktes Land
allein fertigwurden, um dann den Fall entweder dem Doktor oder dem Totengräber zu überlassen. Aber Blut auf einem Sattel bedeutete Ärger – Ärger mit den Eingeborenen: und das war immer ein Fall für die Polizei.
Die Überfälle der Eingeborenenstämme auf die Weißen hatten schon lange aufgehört. Vereinzelte Angriffe waren so selten geworden, daß sie als Sensation galten, und dabei ging es meistens um Frauen oder geschmuggelten Schnaps oder auch um irgendwelche zweifelhaften Typen, die in die Stammesreservate eingedrungen waren. Aus welchem Grund auch immer, der Distriktpolizei bereiteten solche Zwischenfälle ziemliche Kopfschmerzen, und Streitigkeiten mit den Eingeborenen waren für die Bezirkshauptstadt sowie für das Territorium auch in politischer Hinsicht heikel. Zur Unterstützung ihrer Ansprüche auf die Treuhandverwaltung von Neu-Guinea bemühte sich die Regierung, bei den Vereinten Nationen einen positiven Eindruck zu erwecken. Sie förderte Erziehung, führte soziale Verbesserungen ein und strebte die totale Integration der Bevölkerung an. Die Viehzüchter dagegen hatten ganz andere Interessen. Sie waren von der Arbeitskraft der Eingeborenen und Mischlinge abhängig, um ihre Ausgaben möglichst niedrig zu halten. Gebunden an den Status quo, waren sie mit der zuvorkommenden Behandlung der Eingeborenen seitens der Regierung absolut nicht einverstanden. Ein Polizist, der hierbei nicht klug abzuwägen verstand, konnte leicht zwischen zwei Mühlsteine geraten.
Das war allerdings nur die eine Seite von Adams' Problem. Die andere betraf Mary Dillon selbst.
In seinem Bezirk war sie das einzige weibliche Wesen, das ihm hätte gefährlich werden können. Er hatte die schlanke, dunkelhaarige Frau auf einem Ball in Coolangi kennengelernt. Mit ihrem modisch gerafften Kleid wirkte sie zwischen den hausbackenen Matronen und deren sonnengebräunten Töchtern seltsam fremdartig. Er erinnerte sich an ihr Lächeln, als er sie um einen Tanz gebeten hatte, und er spürte ihren Körper wieder in seinem Arm. Auch ihr Entzücken war ihm noch gegenwärtig, als er mit ihr über Dinge plauderte, die sie interessierten, und er wußte um ihre verhaltene Angst und Unzufriedenheit, als sie von sich und ihrem Leben im Siedlungsgebiet erzählte. Er konnte sie verstehen. Lance Dillon war ein Mann, dem die Arbeit über alles ging. Er war zäh und ausdauernd und verstand wenig von Frauen. Er hatte zu wenig Zeit und wohl auch nicht den nötigen Geist, um dieser Frau das zu bieten, was sie brauchte.
Aber Neil Adams verstand sie. Er hatte genügend Zeit und genügend Interesse, und zudem verfügte er über die routinierte Erfahrung des Junggesellen im Umgang mit Damen. Während Dillon an der Bar seine Geschichten zum besten gab, machte Adams Mary mit anderen Leuten bekannt, erzählte ihr amüsante Begebenheiten von seinen Streifzügen und brachte sie mit pikanten Geschichten aus anderen Orten zum Lachen.
Sie fühlten sich zueinander hingezogen, doch vorsichtig hielten sich beide mit Vertraulichkeiten in Worten oder Gesten zurück. Am Ende des Abends hatte sie sich ohne jede Koketterie von ihm verabschiedet, und er hatte sie wieder ihrem Gatten überlassen. Seitdem hatte er sie und Dillon drei- oder viermal auf der Farm besucht, und sie hatten ihn mit der ungezwungenen Freundlichkeit der Neusiedler begrüßt. Aber die Erinnerung an jenen ersten Abend war in ihm stets wach: der Klang ihrer Stimme, der berauschende Duft ihres Parfums und dann das Verlangen nach ihr, wenn die düsteren Stimmungen ihn überkamen.
Und nun sollten sie sich wiedersehen, ohne daß jemand dabei war und mit dieser unausgesprochenen Sehnsucht im Herzen; und ihr Mann lag verletzt oder gar tot irgendwo an der Grenze zum Stone Country. Er zog die Stirn in Falten und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, eine Geste des Unwillens und der Unentschlossenheit; dann ging er zur Tür und rief Billy-Jo, den dunkelhäutigen Späher.
Im Schatten eines hoch aufragenden Felsens saß Willinja, der Zauberer, und erwartete die Männer seines Stammes. Der Fels zeigte die Umrisse von Willinjas Totem, dem Känguruh: Der breite Sockel bildete den Rumpf des Tieres und verjüngte sich nach oben zu einem kleinen Kopf, von dem zwei Vorsprünge wie die gespitzten Ohren des Beuteltieres abstanden. Wenn die Sonne höher stieg, so wie jetzt, fiel der Schatten des Rumpfes auf Willinja, und der Schatten des kleinen Kopfes lag vor ihm, mit angelegten Ohren im Staub, als wenn er
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