Nacktes Land
Zauberschwur gegen einen abwesenden Menschen, ein Schwall von Verwünschungen, wieder und wieder gesungen, während die Sonne am Himmel höher stieg und der Schatten des Känguruh-Felsens kürzer und kürzer wurde, bis er Willinjas Füße erreichte.
Als es soweit war, endete der Gesang. Willinja ließ den Geisterspeer sinken und löschte mit einer entschlossenen Geste die Zeichnungen im Staub. Die Speerträger und Musikanten standen auf, schritten langsam um den Todesstein herum und liefen dann zusammen zum Lager zurück. Nur die Männer des Büffels blieben. Sie hatten an der bösen Tat teilgenommen. Nun mußten sie die Strafwerkzeuge sein.
Ergeben und geduldig warteten sie, bis Willinja ihnen erklärte, wie, wann und mit welchem heiligen Ritual sie Mundaru töten sollten.
Nackt, wie ihn Gott geschaffen hatte, lag Lance Dillon im warmen Schlamm und blickte durch ein Netzgeflecht aus Schilfrohr und Sumpfgras zum Himmel hinauf. Er hatte lange geschlafen und war noch in die wohlige Schlaffheit und Wärme des abebbenden Fiebers eingehüllt. Er spürte weder Schmerz noch Furcht, sondern fühlte sich seltsamerweise wie ein körperloses Wesen, das auf einem Zaun saß und auf seinen losgelösten Leib hinabsah.
Viel war nicht übriggeblieben von seinem Körper – eine erbärmliche Karikatur von Lance Dillon, dem Herren des Landes. Von der mitternächtlichen Kletterei die Uferböschung hinauf war er von oben bis unten mit Schlamm beschmiert, außerdem war sein Körper mit Kratzern und Rissen von Brombeersträuchern und Dornbüschen und mit Insektenstichen übersät. Die eine Schulter war eine zerfetzte rote Masse, in der sich die Entzündung immer stärker ausbreitete. Er war von Egeln geschröpft, von Mücken umschwirrt, und Ameisen zogen ungehindert über ihn hinweg. Sein Mund war zu einem fühllosen Spalt verzerrt, seine Augen starrten entzündet und blutunterlaufen den Morgenhimmel an. Doch es war immer noch sein Körper. Noch pulsierte träges Leben unter der geschundenen Haut, und irgendwo in seinem Kopf erwachten Schmerz, Angst und Hunger zu neuem Leben. Widerwillig mußte der Geist vom Zaun herabsteigen und in seinen geschundenen Leib zurückschlüpfen.
Aber noch nicht – nicht gerade jetzt. Dieser kurze Augenblick ohne Schmerzen war zu kostbar, um ihn zu verschwenden. Er mußte ihn ausnutzen, um seine Gedanken zu sammeln, bevor sie ihm für immer entglitten.
Er hatte den Fluß verlassen. Daran erinnerte er sich, und er war aus dem dunklen Wasserloch die Böschung herauf ins helle Mondlicht geklettert, während die Myalls an ihren verlöschenden Feuern schliefen. Lange hatte er unter einem Brombeerstrauch gelegen, um seine Kräfte zu schonen, und hatte sich dabei einen Weg über das Grasland auszudenken versucht. Hinter dem Strauch wuchs Sumpfgras, und dahinter wiederum lag ein See, ein langgestreckter, schmaler Tümpel, von Schilfrohr umsäumt und mit Lilien bewachsen, deren knollige Wurzeln ihm als Nahrung dienen konnten.
Nun stand er vor dem Problem, wie er dorthin gelangen könnte, ohne Spuren zu hinterlassen. Als er unter dem Strauch hervor über eine kleine Lichtung kroch, zog er einen kurzen dürren Ast wie einen Besen hinter sich her, um die Abdrücke seiner Hände und Knie im Sand wegzufegen. Bis zum Morgen würde der Tau die Erde bedeckt haben, und wenn er Glück hatte, würden die Myalls vielleicht seine Fährte übersehen. Auf diese Weise erreichte er das Gras. Vorsichtig bog er die hohen Halme auseinander, und nach jedem Schritt schwangen sie zurück und schlossen sich erneut zu einer undurchdringlichen grünen Wand. Jetzt erst warf er den dornigen Ast weg und kroch auf den Sumpf zu.
Er schaffte es schneller, als er gedacht hatte, und von einer kleinen schilfbewachsenen Erhebung aus begann er nach den Wurzeln unter den ausladenden Lilienblättern und den noch geschlossenen Blüten zu graben. Sie schmeckten wäßrig und bitter, und nach wenigen Bissen mußte er sich würgend übergeben. Aber nach einer Weile gelang es ihm, etwas im Magen zu behalten; anschließend legte er sich in den nassen Schlamm, und trotz der Insekten und der anderen Sumpfgeräusche schlief er, bis die Sonne hoch am Himmel stand.
Als er erwachte, waren die letzten Reste der betäubenden Schlaffheit verflogen. Er war nur noch ein zerschlagener Körper; jeder Muskel war verkrampft, jeder Zentimeter Haut zerstochen, und aus der Wunde in seiner Schulter floß der Eiter. Mit großen Mühen setzte er sich auf und schöpfte
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