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Nacktes Land

Titel: Nacktes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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mehrere Handvoll Wasser aus dem stillen, sumpfigen Teich. Dann stopfte er sich eine Lilienwurzel in den Mund und kaute so lange, bis er sie hinunterschlucken konnte.
    Vor ihm glitzerte das Wasser in der Sonne. Die Lilienblüten hatten sich geöffnet. Bleich schimmerte der grüne Schlick in den Untiefen, und um eine Schar vergnügter Enten kräuselten sich kleine Wellen. Etwas weiter betrachtete ein weißes Reiherpärchen vom Schilf aus das flache Wasser und wartete auf einen neugierigen Fisch. Der Teich war voller Leben und Nahrung, doch Dillon war zu schwach, um sich etwas zu fangen, und aus Angst, daß die Myalls ihn beobachten könnten, traute er sich nicht, seinen Kopf aus dem Gras zu erheben.
    Das war jetzt seine größte Sorge: Er durfte sich auch nicht die geringste unbewußte Regung erlauben. Er mußte mit zwei Hirnen arbeiten – mit dem Verstand des Jägers und mit dem Kopf des Flüchtlings. Jede Bewegung war genau zu kalkulieren und auf seine Schwäche abzustimmen. An Kampf konnte er nicht denken – nur an Flucht und Deckung. Diese Sorgen verdrängten jeden anderen Gedanken aus seinem Gehirn – an Mary, an die Farm, selbst an die erhoffte Rettung. Er konnte sich auf nichts und niemanden verlassen, nur auf sich selbst; und plötzlich, aus heiterem Himmel, hörte er das Flugzeug …
    Mundaru, der Mann des Büffels, hörte es auch. Auf seinen Speer gelehnt, schaute er zum Himmel auf und suchte den großen Vogel, der die weißen Männer in seinem Bauch trug; aber der Vogel flog genau gegen die Sonne, und lange konnte er ihn nicht entdecken. Vor dem Vogel selbst hatte er keine Angst. Er hatte ihn schon oft gesehen und war neugierig, welch mächtiger Zauber einem solchen Boten befehlen konnte. Doch mit den Männern darinnen war es etwas anderes. Die zu fürchten, hatte er allen Grund.
    Bevor seine Begleiter am frühen Morgen weggegangen waren, hatten sie ihn vor genau dieser Möglichkeit gewarnt. Die weißen Männer hatten die Macht, sich gegenseitig über weite Entfernungen zu rufen, und wenn sie das taten, kam immer der große Vogel, mal mit Adamidji, dem Polizisten, mal mit dem anderen Mann, der einen starken Zauber in einer kleinen schwarzen Tasche mit sich trug. Aus diesem Grunde wollten sie nicht mehr bei Mundaru bleiben. Sie wollten zum Lager zurück und – sie sagten es nicht, aber Mundaru wußte es auch so – Beistand und Erlösung von dem Bösen suchen, das sie angerichtet hatten.
    Mundaru hatte nichts erwidert. Er hatte nur mit den Achseln gezuckt und sie gehen lassen. Anders hatte er es nicht erwartet. Verließ einer erst einmal die Obhut des Stammes, war er schutzlos und einsam, und nur einzig sein Totem konnte ihm helfen. Außerdem fürchtete er sich immer noch vor dem Zorn des Stammes und vor dem allmächtigen Zauber Willinjas.
    Doch er hatte gehandelt, und er konnte nicht mehr zurück. Als die anderen fort waren, hatte er vom Wasser bis oben zum Rand jeden Zentimeter der gegenüberliegenden Böschung abgesucht, ohne etwas zu finden. Überall, wo jemand hätte Schutz suchen können, lag der Tau unberührt, der Boden auf dem offenen Land war krustig und bröckelig. Kein Abdruck im Gras verriet, wo ein verletzter Mann gelegen haben mochte. Das einzige, was ihn verwirrte, war ein dürrer abgebrochener dorniger Ast, der fünfzig Schritte von dem Strauch entfernt lag, von dem er stammte.
    Der große Vogel war nähergekommen. Die Luft war von Motorengeräusch erfüllt. Dann tauchte er aus der Sonne hervor, und Mundaru sah ihn hoch oben in einer großen Kurve über die Sümpfe ziehen. Seine Augen folgten ihm und erspähten eine Bewegung weit hinten am Rand des Teiches. Als sie sich wiederholte und er genauer in jene Richtung sah, erkannte er trotz der großen Entfernung Kopf und Schultern eines Mannes und einen Arm, der dem donnernden Vogel heftig zuwinkte.
    Mundaru verharrte regungslos und wartete ab, was der Vogel tun würde. Dieser schwebte langsam herab, vollendete seine Kurve und flog dann in Richtung der Farm davon. Der Kopf und der winkende Arm verschwanden, aber eine Schar Gänse und Sumpfenten flog schnatternd über dem Tümpel auf. Noch ehe das letzte Summen des Flugzeugs am Himmel verklungen war, duckte sich Mundaru, um leise wie eine Schlange durch die schwankenden Gräser zum Lilienteich zu schleichen.

4
    Es ist eine der Ironien des Schicksals, daß das Leben eines Mannes manchmal von der Laune seiner Frau oder seines Arztes, vom Zustand der Leber eines Taxifahrers oder von einem

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