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Nadel, Faden, Hackebeil

Nadel, Faden, Hackebeil

Titel: Nadel, Faden, Hackebeil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Kruse
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nicht bei Vitaminpräparaten zum Frühstück. Nur invasive Eingriffe schützen uns wahrhaft vor dem grausamen Altern.«
    Seifferheld fand, dass man sein Alter wie einen Ehrenorden tragen sollte, denn die Alternative zu alt werden war vorher sterben, aber er sagte nichts. Reden lassen, einfach nur reden lassen. Alte Verhörtaktik.
    »Ich habe mein Leben in den Dienst der Schönheit gestellt. Was wäre die Welt ohne Schönheit? Aber natürlich geht das nicht ohne kleinere Ausrutscher hie und da. Diese Runkel hätte sich nicht so anzustellen brauchen. Die Absenkung der Oberlider und der gestörte Lidschluss wären nur vorübergehend gewesen. Auch das Ektropium hätte sich von selbst zurückgebildet. Und die ungleich hochstehenden Mundwinkel hätten wir nach zwei bis drei Wochen durch eine Nachinjektion ausgleichen können. Gut, mit dem Taubheitsgefühl und der vertikalen Diplopie hätte sie leben müssen. Aber der gehemmte Lippenschluss und der diskrete Speichelfluss waren definitiv nur temporär.«
    »Sie war nach der Botox-Behandlung entstellt?«
    »Mein Gott, entstellt, entstellt … Werfen Sie doch nicht mit solchen Begriffen um sich. Aber ja, in einem von zehntausend Fällen kann es zu unerwünschten Folgeerscheinungen kommen Und die Runkel hat total hysterisch darauf reagiert.« Kolb klang genervt.
    Seifferheld tastete in seine Trenchcoattasche. Sie beulte sich nämlich aus gutem Grund aus.
    Kolb merkte nichts. »Ja gut, ihre Oberlippenmuskulatur war geschwächt. Sie hatte Schwierigkeiten beim Trinken und Löffeln … und wahrscheinlich auch beim Blasen. Das war bestimmt der einzige Grund, warum dieser Bellingen mich bloßstellen wollte. Ärztliche Kunstfehler gehen dem doch am Arsch vorbei, aber wenn seine Geliebte ihn ein paar Wochen lang nicht mehr oral beglücken kann …«
    Seifferheld spürte das Pakka-Holz und die Damaszener-Klinge unter seinen tastenden Fingern. Er packte das Japanmesser, zog es aus der Manteltasche und riss es heraus, hoch über seinen Kopf.
    Er zögerte den Bruchteil einer Sekunde. Noch nie hatte Seifferheld einen Menschen umgebracht oder war die Ursache gewesen, dass jemand zu Tode kam, und im Schachspiel des Lebens war es mittlerweile etwas spät, um jetzt noch einen solchen Spielzug durchzuführen, auch wenn es sich um reine Notwehr handelte. Aber mit einem solchen Hackebeilmesser konnte man sich nicht zivilisiert verteidigen – man schlug zu, um zu töten. War er dazu wirklich bereit?
    In diesem Moment fuhr vorn auf der Gasse ein Taxi vorbei, und im Licht der Scheinwerfer warf Seifferheld einen gruseligen Schatten. Wie ein unseliger Metzger mit einem Hackebeil, der gleich einer widerwärtigen Monsterkreatur den Garaus bereitet und es zu Blutwurst verarbeitet.
    »Was …?«, stutzte Kolb.
    Seifferheld nutzte das Überraschungsmoment, um sich von Kolb loszureißen. Kolb reagierte allerdings blitzschnell und packte den Arm mit dem Japanmesser. Seifferheld musste das Messer fallen lassen, wirbelte aber seine Gehhilfe herum, traf dabei jedoch nicht Kolb, sondern nur eine Glasscheibe, die laut klirrend zerbrach.
    Es ging nicht mehr anders.
    Seifferheld musste über seinen Schatten springen.
    » HILFE !«, schrie er.
    Doch alle Fenster blieben dunkel.
    »Ha!« Kolb lachte auf.
    Mit beinahe übermenschlicher Kraft zerrte Seifferheld sich und Kolb, der ihm am Arm hing, auf die Gasse hinaus.
    » HILFE !«, brüllte er.
    Nichts.
    Die Anwohner hatten einen beneidenswert festen Schlaf.
    Seifferheld rangelte mit Kolb, der jetzt etwas in der Hand zu halten schien.
    »Wehren Sie sich nicht, Herr Kommissar. Ich verspreche Ihnen, es ist absolut schmerzfrei. Mit diesem Mittel schläfert man sonst Haustiere ein. Nur die Dosis ist enorm erhöht. Es wird schnell gehen.« Kolbs Stimme war ein giftiges Zischeln.
    Seifferheld ging zu Boden. Er rollte sich auf den Rücken. Kolb warf sich auf ihn.
    Es war einfach zu lange her. Seifferheld hatte einen absoluten Blackout, was passende Selbstverteidigungsmaßnahmen anging. Außerdem war es seine gesamte berufliche Laufbahn immer nur theoretisches Wissen gewesen – Kontaktangriffe auf Vertreter der Staatsmacht hatte es zu seiner Zeit nie gegeben. Mit dem Ellbogen versuchte er, Kolb auf Abstand zu halten.
    »Wehren Sie sich nicht, dann ist es umso schneller vorbei.«
    Seifferheld wollte noch einmal um Hilfe brüllen, aber Kolb drückte ihm den linken Unterarm auf den Mund. Der rechte Arm, in dem er die Spritze hielt, fuhr aus.
    Das war’s dann wohl, dachte

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