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Nadel, Faden, Hackebeil

Nadel, Faden, Hackebeil

Titel: Nadel, Faden, Hackebeil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Kruse
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prophetisch. Was haben Sie für uns und die Jury vorbereitet?«
    Jetzt erst sah der Moderator, dass der Schau-Herd kalt war und absolut gar nichts brutzelte oder briet oder sonst wie der Fertigstellung entgegenkochte. Weil er Profi war, entglitten ihm die Gesichtszüge nur in Teilen. Die unbeweglichen Teile verdankte er vermutlich seiner halbjährlichen Botox-Einspritzung.
    »Eine Überraschung«, sagte Seifferheld. Dann sah er sich zu seinen Jungs in den Trenchcoats um. »Seid ihr so weit?«, rief er.
    Sie hatten es nur ein einziges Mal geprobt, vorhin in der Garderobe. Ob es klappen würde?
    Arndt zog den Kassettenrekorder aus einem der Kartons und drückte auf die Playtaste.
    »Wären Sie so freundlich?«, sagte Seifferheld zum Moderator und zog dessen Arm mit dem Mikrofon vor den Kassettenrekorder, aus dem gleich darauf die ersten Töne von
YMCA
schmetterten.
    Seifferheld und seine Mannen stellten sich in einer Reihe auf und rotierten mit den Hüften.
    Young man, there’s no need to feel down.
    I said young man, pick yourself off the ground.
    Sie zogen sich die Gangsterhüte vom Kopf und warfen sie in die erste Reihe. Frauen kreischten auf, Männer sangen mit.
    Young man, there’s a place you can go.
    I said, young man, when you’re short on your dough.
    Dann rissen sich die Haller Jungs die Trenchcoats auf.
    Die Halle tobte.
    Wer nun erwartet hatte, darunter die Kostüme der Village People zu entdecken – Bauarbeiterkarohemd, Indianerlendenschurz, Cowboylederhose –, sah sich getäuscht.
    Seifferheld und die Jungs trugen …
    … Windeln.
    Windeln aus großen weißen Stoffservietten, die von überdimensionalen Sicherheitsnadeln an Ort und Stelle gehalten wurden.
    So lasziv es eben ging – und es ging mit ihren untrainierten Altmännerhüften eigentlich gar nicht – ließen sich Horst, Eduard, Gotthelf, Arndt und Klaus die Mäntel von den nackten Schultern gleiten, während Seifferheld aus dem zweiten Karton ein Mikrowellengerät zog und es so aufbaute, dass Kamera 2 sie gut im Bild hatte.
    Young man, are you listening to me?
    I said, young man, what do you want to be?
    Dann zog Seifferheld eine Tiefkühlpizza aus dem Karton, riss die Plastikhülle ab und schob sie in die Mikrowelle.
    Währenddessen drehten sich seine Jungs um, kehrten somit dem Publikum den Rücken und wackelten mit den Popos.
    No man does it all by himself.
    I said young man, put your pride on the shelf.
    Die Halle grölte und sang aus Tausenden Kehlen lauthals mit:
    YMCA  … Just go to the YMCA .
    YMCA  … You’ll find it at the YMCA .
    Und als hätten sie es präzise getimt, machte die Mikrowelle genau in dem Moment »pling«, als der Kassettenrekorder seinen letzten Ton von sich gegeben hatte.
    Seifferheld zog die fertige Pizza heraus und rief: »Voilà!«
    Der Jubel kannte keine Grenzen. »Zugabe«, rief die Menge und klatschte sich die Hände wund.
    Es war vollkommen sinnfrei und hatte nichts mit Kochen zu tun. Aber zwei Minuten und 36  Sekunden lang waren vom Kabelträger über den Platzanweiser bis hin zum Moderator alle gut drauf.
    Dafür bekamen sie selbstverständlich keinen einzigen Punkt von der Jury, aber nach kurzer Rücksprache mit der Regie und einem tosenden »Bravo!« aus dem Publikum erhielt der Männerkochkurs der Volkshochschule Schwäbisch Hall – alias »Die Ahnungslosen« – den Anerkennungspreis in Gold des Wettkochveranstalters.
    Glücklich lächelnd winkten Seifferheld, Schmälzle, Eduard, Gotthelf, Arndt, Horst und Klaus in die Menge.
    Und hinten rechts in der Halle, in Block B, Reihe 12 , erwachte François Bocuse Arnaud aus seiner Schockohnmacht …

23 : 45  Uhr
    Wer zuletzt lacht, stirbt (wenigstens) fröhlich.
     
    Seifferhelds Schritte hallten durch die menschenleere Gelbinger Gasse.
    Die anderen hatten ihren Erfolg mit viel Bier hinter den Kulissen der Kochwettshow gefeiert, aber er als Chauffeur konnte sich nur an alkoholfreies Bier halten. Er hatte die anderen zu Hause abgesetzt, dabei jedem Einzelnen männlich-kumpelhaft und vor allem wuchtig auf die Schulter geschlagen, und dann den Grand Scénic seines Kollegen in dessen Garage gefahren. Van der Weyden wohnte neben dem Indian Forum, das hieß, Seifferheld musste jetzt durch die langgezogene Gelbinger Gasse, die Marktstraße und den Hafenmarkt laufen, bevor er in der Unteren Herrngasse anlangte. Hoffentlich hatte Karina eine Runde mit Onis gedreht, damit er gleich ins Bett konnte. Er war völlig erledigt.
    Das Gehen fiel ihm schwer.

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