Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nadel, Faden, Hackebeil

Nadel, Faden, Hackebeil

Titel: Nadel, Faden, Hackebeil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Kruse
Vom Netzwerk:
Morgensex zweier Durchschnittsmenschen in der Unteren Herrngasse zu Schwäbisch Hall. In den Mauern eines fünfhundert Jahre alten Fachwerkhauses, die schon vieles gesehen hatten. Und jetzt sahen sie gerade, wie eine ambitionierte Karrierefrau Mitte dreißig – im Management der Bausparkasse Schwäbisch Hall tätig, Chanel-Kostüm-Trägerin, Soroptimistin – in stöhnender Verzückung (und ohne Chanel-Kostüm) einen gut zehn Zentimeter kleineren und fünf Jahre jüngeren Physiotherapeuten – Pferdeschwanzträger, Milchtrinker, Freundschaftsbandenthusiast, Grüner – auf ihren warmen, weichen Körper zog, in der Hoffnung, dass er zwar genauso warm, aber nicht so weich sein würde.
    Sie stöhnte.
    Er stöhnte auch.
    Olaf war eigentlich bekennender Tantriker. Nein, jetzt denken wir nicht an Tom Cruise und Scientology. Tantriker sind keine fanatischen Sektenanhänger, sondern – in diesem Kontext – Menschen, die im Sex mehr sehen als flotte Lustbefriedigung, die Vertrauen und Hingabe entwickeln wollen, wozu es Zeit, viel Zeit braucht und, ja, auch neckische Sexspielchen und ausgedehnte Massageorgien und kamasutragleiche Stellungen, aber eben nicht nur. Olaf war also Tantriker, aber mit Susanne entdeckte er, dass Sex mehr war als östliche Philosophie. Mehr als ewig gleiches Zärtlichsein. Es konnte auch wild und leidenschaftlich werden. Und dann wieder blümchensexig. Oder verrucht unartig. Mit ihr war es jedes Mal neu und anders.
    Susanne war noch bis vor kurzem eine stolze Frigide gewesen. Richtig Lust auf Sex hatte sie nie gehabt. Natürlich gehörte Sex dazu, aber sie konnte auch gut ohne. Hatte sie immer gedacht. In der Zeit
vor
Olaf. Seit der Stunde null, seit der ersten spontanen Nacht mit dem Physiotherapeuten ihres Vaters, brach sich die Leidenschaft in ihr Bahn, aber eben auch die Zärtlichkeit. Zum ersten Mal erlebte sie einen Orgasmus mit einem Mann. Ach was, Mehrfachorgasmen. Und zwar mehrfache Mehrfachorgasmen. Alles war multipel, wenn sie mit Olaf zusammen war.
    Sie presste ihn fester an sich.
    Olaf stöhnte.
    Susanne stöhnte auch.
    Die Matratze quietschte.
    Das Kondom auch.
    Olaf hatte – weil Susanne viel Nachholbedarf hatte und einen außerordentlichen sexuellen Appetit entwickelte – bei eBay ein Schnäppchenpaket mit Kondomen ersteigert: gemischtes Sortiment. Mit Noppen, mit Geschmack und normal.
    Was er nicht wusste: Der Anbieter war ein gewisser Marco Z. aus Leipzig, der illegal zehntausend kaputte Verhüterli aus einem Ausschusscontainer des Herstellers Condomi gefischt hatte. Die Kondome waren bei einer der regelmäßigen Belastungsproben extremer UV -Strahlung ausgesetzt worden und dadurch porös geworden. Marco Z. glaubte, sich damit ein schönes Zubrot verdienen zu können, flog jedoch schon sehr bald auf, weil sich ein eBay-Nutzer beim Herstellerwerk in Thüringen erkundigte, ob es sich bei diesen Kondomen tatsächlich um echte Markenware handelte, auch wenn sie nicht in der üblichen Verpackung ausgeliefert worden waren, sondern immer zu zehnt in Tiefkühltüten mit Gefrierbrandschutz. Gummi-Gauner Marco Z. aus Leipzig wurde zu einer empfindlichen Geldbuße verurteilt. Aber das bekam Olaf im weit entfernten Baden-Württemberg nicht mit. Und selbst wenn, es war schon zu spät.
    In diesen frühen Morgenstunden wurde im zweiten Stock des Seifferheldhauses in der Unteren Herrngasse zu Schwäbisch Hall neues Leben gezeugt.
    Das Wunder der Schöpfung!

08 : 55  Uhr
    Für die einen ist es Klopapier,
für die anderen die längste Serviette der Welt.
     
    Katharina Runkel – Kiki für ihre Freundinnen – sah in den Spiegel. Sie fühlte sich wie eine zerfetzte Fliege auf der Windschutzscheibe des Lebens.
    In drei Monaten wurde sie vierzig. Und die Zeit hatte es nicht gut mit ihr gemeint. Schön, die grauen Haare konnte man dank L’Oreal färben – das war sie sich wert. Aber das Gesicht? Ihre Stirn erinnerte ganz allmählich an eine Reliefkarte der Anden. Und ihre Mundwinkel hingen tatsächlich nach unten. Dabei war sie doch ständig am Lachen. Ihr Spitzname lautete »die Kichererbse«.
    Kichererbse Kiki zog einen Schmollmund. So konnte das nicht weitergehen.
    Es war ja nicht nur ihr Gesicht. Es war alles.
    Fast vierzig – und was hatte sie vorzuweisen?
    Ja gut, den Souvenirshop in der Blockgasse, den sie in fünf Minuten aufschließen würde. Aber der war ihr mehr oder weniger wie eine reife Frucht in den Schoß gefallen, als ihre Tante, die den Laden aufgebaut hatte, an

Weitere Kostenlose Bücher