Nächstenliebe: Thriller (German Edition)
genau an die Begegnung. Sie war komisch, aber nicht angsteinflößend gewesen. Obwohl er die alte Frau nicht kannte, hatten ihre Worte nichts Mahnendes oder Besserwisserisches, sondern - wie sollte er es beschreiben? Es war, als würde eine Freundin zu einem Freund sprechen. Es waren Worte voller Hoffnung und Liebe. Dessen war er sich sicher. Warum?
Darauf fand er keine Antwort. Vielleicht war es Schicksal, dass er in Jerusalem sein Vorhaben nicht vollenden konnte. Vielleicht wollte Gott ihn noch nicht bei sich haben, weil seine Zeit noch nicht gekommen war. Und vielleicht, so dachte er, hatte die alte Frau mit all diesen Dingen etwas zu tun? Warum sollte dieses Treffen nicht Schicksal gewesen sein?
War sie mehr als nur eine arme alte Frau, die zufällig an derselben Stelle beten wollte wie er? Dabei hatte sie wie eine Araberin gewirkt. Und warum sollte eine Araberin im Garten Getsemani beten wollen? Das machte alles keinen Sinn. Für einen kleinen Augenblick kam ihm der Gedanke, dass die Strapazen der letzten Tage ihn zu sehr erschöpft hatten.
„Nein“, sagte er plötzlich.
„Was?“, fragte Andreas. John fühlte sich ertappt. Denn ein weiterer Satz schoss ihm durch den Kopf. Er hätte bei der Heiligen Jungfrau Maria schwören können, dass sie auch noch sagte: ‚Tun Sie nicht, was Sie gedenken müssen zu tun.’ Nur war dies unmöglich. Er war viel zu weit weg gewesen, als dass er es hätte hören können. Aber er war sich in diesem Moment absolut sicher, dass er diesen Satz vernommen hatte. Also konnte dies nur die Anspannung gewesen sein, die ihm einen Streich gespielt hatte. Schließlich war er nicht mehr der Jüngste. Auch wenn ihn diese Einsicht ein wenig betrübte, schien er dennoch erleichtert, Gewissheit zu haben. Er war ein sehr gläubiger Mensch. Und Jerusalem war die Quelle seines Glaubens. Zu gerne hätte er geglaubt, dass dieser Ort auch für ihn einen Weg empfahl, den er zu gehen vermochte. Jetzt wo er alleine war und seine Frau ihm so sehr fehlte!
„Verzeihen Sie. Ich war mit meinen Gedanken woanders. Darf ich Sie zu einem Kaffee einladen?“
„Ja, gerne.“
„Mit Milch und Zucker?“
„Ja, das wäre super. Bitte zwei Stück Zucker.“
John begab sich an die Kaffeebar, um für beide Kaffe e zu holen. Komischer Kauz, aber nett, dachte Andreas.
Andreas war sich nicht schlüssig über John. Er machte zwar einen sympathischen und ehrlichen Eindruck, aber irgendein Geheimnis schien er mit sich zu tragen.
Eigentlich war er auf die Fortsetzung des Tagebuches gespannt. Aber andererseits konnte ihm John vielleicht behilflich sein. Beide wollten nach Frankfurt fliegen. Und sollten Ali oder einer seiner Schergen am Flughafen sein, dann würden sie ihn sicherlich so lange nicht behelligen, solange John bei ihm war.
Andreas hoffte dies zumindest. Genauso, wie er hoffte, dass Ali erst gar nicht am Flughafen auftauchte.
Außerdem hatte Andreas noch die Sorge, dass Alis Hintermänner ihn aufgrund seiner E-Mail-Adresse oder Handynummer lokalisieren könnten.
War das Buch ihnen solche Mühen wert? Und wenn ja, was könnte er dagegen unternehmen? Wegziehen?
Ein Leben in Angst leben? Aber vor allem, wer waren diese Hintermänner?
Andreas hoffte, dass er sich zu viele Gedanken machte und dass er in Deutschland sicheren Boden unter den Füßen haben würde. Und wenn er erst einmal das Buch veröffentlich hätte, dann wäre der Reiz für Ali und seine Hintermänner verloren und warum sollten sie ihn dann noch behelligen?
Diese Antwort gefiel Andreas. Daher musste er rasch alles in Bewegung setzen, damit er schnell das Buch veröffentlichen könnte. Alles wird gut, versuchte er sich Mut zu machen.
Kapitel 59
Ismail wusste, wer ihn gerettet hatte. Es war Gott. Gott, der nicht wollte, dass sie ihn erwischten und von seiner Mission abhielten. Von denen, die nicht an ihn glaubten, den Heiden, den Ungläubigen.
Während Ali kurz davor war, dass Schloss des Hotelzimmers von Andreas zu knacken, spürte Ismail diese starke Präsenz. Eine Präsenz, für die er keine Worte fand, die ihm aber immer dann begegnete, wenn Gefahr in Verzug oder seine Achtsamkeit erforderlich war. Also befahl er Ali von der Tür zu lassen und verschwand mit ihm durch den Flur. Und dann sah er auch, warum er dieser Präsenz blind vertrauen konnte. Zwei Wachleute klopften an Andreas´ Tür.
Er sandte ein kleines Stoßgebet zum Himmel und bedankte sich bei Gott. Dass sie überhaupt ins Hotel hinein gelassen wurden,
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