Nächte am Nil
Zentner.«
»Gepäck?« Birgit verzog den Mund. »Alles, was ich habe, ist eine Tasche voll.«
»Auch das kann noch zuviel sein. Wichtiger sind Waffen. Munition. Eine Kiste Handgranaten nützt uns mehr als drei Kleider.« Er sah Zuraida an, in deren Augen noch immer der Zweifel stand, ob dieses Unternehmen überhaupt einen Sinn habe. »Sorg du für alles, Liebling. Du kennst den Wüstenkrieg. Ich gehe jetzt und organisiere die Evakuierung meiner Leute.«
Den ganzen Nachmittag über lag die Villa ›Roseneck‹ fast wie ausgestorben unter der Sonne. Erst gegen Abend trafen einzeln oder zu zweien Männer in Zivil oder in arabischen, wallenden Gewändern ein. Sie versammelten sich im Garten, standen herum, warteten, rauchten und unterhielten sich mit gedämpfter Stimme, obwohl dazu gar kein Anlaß bestand.
Über allen lag wie eine elektrische Spannung mühsam unterdrückte Nervosität.
Auch sie, die hier im Garten warteten, gaben alles auf, was sie sich in jahrelanger Kleinarbeit erworben hatten. Die Verheirateten waren nicht dabei, sie wollten hierbleiben. Sie hatten ägyptische Mädchen kennengelernt, hatten Familien gegründet, lebten das Leben braver Muselmanen und hatten vergessen, daß sie einmal Meyer oder Feldmann geheißen hatten, aus Neuß am Rhein oder aus Memmingen stammten und mit der Rommel-Armee in dieses heiße, schöne Land am Nil gekommen waren.
Die anderen aber, die ›ohne Anhang‹, standen nun im Garten der Villa ›Roseneck‹ und warteten.
Hauptmann Brahms und sein ›Adjutant‹ Oberfeldwebel Franz hatten die Organisation abgeschlossen.
Bei Einbruch der Dunkelheit rollte ein alter Omnibus in den Innenhof der Villa ›Roseneck‹. Er wurde von sechs Mechanikern, die bereits ungeduldig warteten, umgearbeitet. Die Wände wurden von innen mit Stahlplatten geschützt, und die Motorhaube wurde mit auseinandergetrennten Nylonschußwesten ausgekleidet, die Hauptmann Brahms sich aus dem Polizeihauptquartier aufgrund seines Sonderausweises geben ließ. Sämtliche Fenster wurden herausgenommen, den splitterndes Glas kann böse Verletzungen geben. Die hinteren Sitzbänke montierte man ab, um Platz für Gepäck und Waffen zu schaffen. Das einzige, was man nicht umändern konnte, waren die Reifen. Sie bildeten den verwundbaren Punkt des wie eine rollende Festung ausgestatteten Omnibusses.
Gegen 23 Uhr war alles bereit. Die Männer stiegen ein. Ihr Leben in Ägypten war damit beendet. Sie gingen freiwillig. Mit jedem hatte Brahms vorher gesprochen. »Jungs, es zwingt euch keiner«, hatte er zu ihnen gesagt. »Aber eins ist sicher: Wenn man entdeckt, daß ich mich abgesetzt habe, wird man euch alle verhaften und durch die Mangel drehen. Alle, die einmal mit mir zu tun hatten. Das ist euch doch klar. Und ihr werdet kein Bein mehr auf die Erde kriegen. Vielleicht schiebt man euch ab … über die Grenze in den Sudan. Dann könnt ihr Wurzeln fressen oder den Häuptlingen Luft zufächeln. Wie gesagt, ich überlasse es euch. Als Ausweg bleibt euch ja immer noch der Kongo.«
Die Männer nickten. Es ist ja doch alles Scheiße, dachten sie. Das Leben ist so oder so verpfuscht. Man ist eben eine Landsknechttype, und die Heimat ist da, wo man zu fressen und zu saufen bekommt und wo sich einem ein Mädel ins Bett legt. Ob das nun Kairo oder Tobruk ist, Léopoldville oder Daressalam – was sind Namen? In der Welt findet sich überall ein Platz, wo man leben kann.
Unbeachtet fuhr der scheibenlose, schwergepanzerte und deshalb schnaufende und langsam fahrende Omnibus durch die nächtlichen Kairoer Straßen nach Norden. Auf der Küstenstraße sollte er über Alexandria, El Alamein, Marsa Matruk bis Bardia es Sollum fahren, der kleinen Grenzstadt an der libyschen Grenze. Dort begann dann das Abenteuer: Der Durchbruch nach Westen.
Hauptmann Brahms saß in seinem großen Arbeitszimmer. Birgit und Zuraida hockten ihm gegenüber in den tiefen Sesseln.
»Wenn sie durchfahren können, werden sie morgen früh um neun Uhr an der Grenze sein«, sagte er. »Das ist gut gerechnet. Um sieben Uhr kommt unser Hubschrauber. Wir werden die Grenze etwas südlicher auch gegen neun Uhr überfliegen. Beide Aktionen müssen zur gleichen Zeit erfolgen, denn spätestens bis Mittag wird hier der Teufel los sein.«
In dieser Nacht schliefen weder Birgit noch Zuraida. Nur Brahms schnarchte. Er besaß Nerven wie Drahtseile. Baraf, der nubische Riese, schlief auch nicht. Er hockte wie ein überdimensionales Standbild in einer Ecke des
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