Nächte am Nil
abgäben?«
»Das weiß ich seit langem, gnädige Frau.« Konrad Gerrath rührte versonnen in der Kaffeetasse. Er war mittelgroß, hatte lichte, braune Haare und trug eine Goldbrille. Seine Anwaltspraxis lief vorzüglich, er galt als geschickter Redner, hinterließ überall den Eindruck des absoluten Ehrenmannes und lebte auch nach außen hin bescheiden und traditionsbewußt. Er hatte Alf Brockmann auf der Universität kennengelernt, man hatte sich angefreundet, und als Brockmann heiratete, verliebte sich Gerrath insgeheim so stark in Birgit, daß er fortan wie ein Stück der Familie jede freie Minute im Hause am Kanal auftauchte. Und wenn er nur herumsaß und Birgit sehen konnte – es genügte ihm völlig. »Ich habe das Pech, einen stärkeren Nebenbuhler zu haben«, sagte er fast traurig.
»Papperlapapp!« Berta Koller wedelte mit der Hand durch die Luft. »Sie wissen, wie ich über meinen Schwiegersohn, dieses Windei, denke. Er kommt nicht wieder aus Ägypten … aber Sie sind hier! Mein Gott, Konrad … vor Gericht können Sie hartgesottene Staatsanwälte zu Tränen rühren, und hier versagen Sie. Mut! Ich weiß, daß Birgit sich wehrt gegen die Einsicht, daß ich recht habe; aber einmal wird sie einsehen, daß alles wahr ist. Dann müssen Sie da sein, Konrad. Dann müssen Sie alle Türen einrennen. Wozu heißen Sie Konrad?«
Gerrath lächelte verbindlich. Er schnellte aus dem Sessel hoch, als Birgit den Raum betrat und ihm mit deutlicher Kühle die Hand reichte. Ehe er etwas sagen konnte, schnitt ihm Birgit alle Worte ab.
»Sagte Ihnen meine Mutter, daß Alf sechs Wochen nicht geschrieben hat? Es ist wahr. Aber Sie sehen mich nicht im geringsten beunruhigt, und ich brauche deshalb auch keinen männlichen Schutz oder Zuspruch. Guten Tag.«
Sie verließ sofort wieder das Zimmer. Berta Koller gab Konrad Gerrath einen Stoß in den Rücken.
»Hinterher«, flüsterte sie. »Glühendes Eisen schmiedet sich am einfachsten.« Und als sich Gerrath etwas konsterniert umdrehte, blinzelte sie ihm zu und sagte: »Ich mag Sie wirklich gern, Konrad. Und an meinen Enkel denke ich auch. Er soll einen richtigen Vater haben. Und nun – viel Glück.«
Gerrath traf Birgit Brockmann am Ende des Gartens. Sie harkte den Sandweg, der zum Bootssteg führte. Als er sie ansprach, zuckte sie zusammen, aber sie drehte sich nicht um, sondern glättete weiter den Sand. Nur die Bewegungen waren hastiger und abgehackter.
»Sie sollten sich nicht so vor aller Welt abschließen, Birgit«, sagte Gerrath. »Wir sind alle keine Kinder von Traurigkeit, auch Alf nicht. Bitte, lassen Sie mich ausreden, Birgit. Ich möchte nicht, daß Sie die ehevermittlerische Art Ihrer Frau Mutter mit meinen Wünschen verwechseln oder gar verquicken. Ich liebe Sie, Birgit.«
»Konrad.« Birgit Brockmann fuhr herum und ließ den Stahlbesen fallen.
»Nein. Kein Entsetzen. Ich werde es mir nie erlauben, diese Liebe zu zeigen oder Sie damit zu belästigen. Ich will nur, daß Sie wissen, wie es um mich steht. Und ich bitte um eine Chance, wenn es das Schicksal will, daß Alf in Ägypten …«
»Bitte, reden Sie nicht weiter, Konrad!« unterbrach ihn Birgit schroff. »Alf kommt wieder.«
»Auch das zivilisierte Ägypten birgt Gefahren. Ein Skorpionbiß, zu spät behandelt, eine Sandviper, Cholera, Malaria, Gelbsucht, Fleckfieber … es sind so viele Faktoren, die Schicksal spielen könnten. Bei Gott, wir wollen Alf so etwas nie wünschen, aber wenn es eintreten sollte … darf ich hoffen, Birgit?«
»Es ist Frevel, über so etwas zu sprechen, Konrad.« Sie bückte sich und nahm den Stahlbesen wieder auf. »Ich hoffe ja noch immer auf die Einreise. Sie wissen nicht, wie ich mich sehne, von hier wegzukommen.« Sie machte eine weite Armbewegung. »Sehen Sie sich um, Konrad. Ein blauer sonniger Himmel, ein blühender Garten, blaues einladendes Wasser, ein weißes Haus im Grünen – man sagt: Das ist ein kleines Paradies. Nein, es ist die Hölle! Eine mit Blüten garnierte Hölle. Und – es ist schrecklich, das zu sagen – der Teufel darin ist meine eigene Mutter. Sie haßt Alf und daher haßt sie alles, was mit ihm zusammen ist. Ich muß hier raus, Konrad – oder Alf muß wiederkommen.«
»Er hat einen Vierjahresvertrag, Birgit.«
»Dann gehe ich nach Ägypten.« Sie strich sich einige in die Stirn gefallene Strähnen ihrer hellblonden Haare nach oben. »Ich habe es mir heute endgültig überlegt. Ich werde selbst an die ägyptische Regierung schreiben.
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