Nächte am Nil
Vielleicht ist es etwas anderes, wenn eine Frau und ein kleines Kind bitten.«
»Und wenn es wieder ein Nein ist?«
»Dann müssen wir weiter warten.«
»Warten? Worauf?«
»Ich weiß es nicht, Konrad.« Sie stützte das Kinn auf den Besenstiel. Am Garten vorbei glitt lautlos ein Lastkahn durch den Kanal. »Ich habe es aufgegeben zu fragen. Ich liebe Alf, und ich weiß, daß alles, was er tut, gut sein muß. Ägypten, seine Forschungen, alle Entsagungen … er macht es doch nur für mich und das Kind.« Sie lächelte tapfer, und Konrad Gerrath spürte, wie sein Herz schmerzhaft zuckte. »Wir beißen uns schon durch; gerade, weil alle gegen uns sind.«
Gerrath nickte. »Ich beneide Alf um seine Frau«, sagte er heiser. »Er ist reicher als der reichste Mann der Welt, und er weiß es nicht.«
Mit schnellen Schritten, fast wie eine Flucht vor seinem schmerzenden Gefühl, verließ er den Garten und vermied es, an diesem Tag noch einmal mit Berta Koller zusammenzutreffen.
*
Die Oase Bir Assi war ein grüner Fleck inmitten kilometerweiter Sanddünen. Als habe die Hand Allahs, müde von der Schöpfung, sich ausgeruht und mit einem Finger in den Sand gebohrt und ihn somit befruchtet, wuchs plötzlich in der Wüste, wo sie am einsamsten schien, ein Palmenhain, sprudelte eine Quelle aus der Erde, leuchteten Oleander und Riesenkamelien, reiften Oliven und Datteln und blieb so viel Grün übrig, um ein paar Kühe und Schafe zu nähren. Wo man das Wasser hinleitete, wuchs sogar wilder Weizen, und so hatte das Herz alles, was es ersehnte: Wasser, Mehlfladen, Datteln, Kamelmilch, Olivenöl. Allah hatte ein Paradies geschenkt.
Aber dieses Paradies fiel in Menschenhand. Es wurde vor einigen Jahren durch ein Militärflugzeug entdeckt, das vom Kurs abgekommen war und über der Wüste herumirrte, bis die Radarverbindung wieder klappte. Bisher kannten nur wenige Nomaden die Oase Bir Assi, diesen grünen Klecks auf dem sandgelben Teppich. Und genau dreiundvierzig Einwohner kannten sie; Bauern, die von Karawanen abgesprungen waren, um diese Insel im Sandmeer als ihr Reich zu gründen. Um so größer waren Erstaunen und Entsetzen, als vor zwei Jahren drei Hubschrauber außerhalb der Palmengürtel im Sand landeten und sogar ein General durch die Gärten ging, in die Hütten guckte, das Wasser untersuchen ließ und schließlich sagte: »Da hat Allah ein gutes Werk getan! Bir Assi wird Sperrgebiet!«
Was dann geschah, war ein neues Wunder. Es entstanden langgestreckte Gebäude aus richtigen Steinen, die alle per Flugzeug in die Oase geflogen wurden, Glasfenster, Jalousien, eine Trafostation, benzingetriebene Akkumulatoren und Turbinen. Ein Schwimmbad wurde in die Erde gegraben. Kleine Villen reihten sich darum. Eine Kompanie Soldaten bekam eine ganze Kaserne hingesetzt. Wasserfachleute bauten Kanäle und bewässerten neues Land, schlossen Pumpen an die Quelle und saugten das Lebensnaß aus dem Schoß der glühenden Erde. Eine Plantage blühte auf, ein Sendemast wurde errichtet, mit Flugzeugen kamen wertvolle Instrumente heran. Tag und Nacht summten die Hubschrauber wie Riesenhornissen über die Oase und luden aus.
Nach zwei Jahren war Bir Assi viermal so groß wie damals, als der erste Bauer seine Karawane verließ und sich aus Palmenblättern das erste Haus baute. Jetzt wohnten fast zweitausend Menschen unter den Palmen und draußen in der unter der Sonne dampfenden Kaserne. Es waren fast nur Männer, und da ein Orientale ohne eine Frau nicht leben kann, wurde zwischen Kaserne und Oase noch ein langgestrecktes Haus gebaut mit einem schönen Innenhof und vielen, kleinen, von Vorhängen verschlossenen Zimmern. In ihnen wohnten Mädchen aus Nubien und dem Sudan, schlanke Weibchen aus Abessinien und dralle Katzen aus der Südprovinz, rehhafte Tschadmädchen und hochbeinige Kassa-Schöne. Wenn die Wüstennacht kam, wurden Zimbeln und Trommeln geschlagen, klagte die Flöte zu den Sternen und tanzten die Mädchen mit wiegenden Hüften und stampfenden Beinen. Und in den kleinen Zimmern rund um den Innenhof wurde die Liebe gekauft wie ein Liter Öl oder zwei Handvoll Datteln.
Die Oase Bir Assi lebte wie ein Geschwür. Aber es wurde nicht ausgedrückt, sondern gepflegt und behütet, abgeschirmt und abgesperrt. Und auf allen Karten vergessen. Dort, wo zweitausend Männer und vierzig Mädchen lebten, war nur ein gelber Fleck. Wüste. Sand. Einsamkeit. Urwelt. Glühende Sonne. Durst. Ein Todesstreifen.
Hier landeten, mit zwei Hubschraubern
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