Naechte am Rande der inneren Stadt
tüchtig. Sie macht Karriere als Kulturmanagerin, sie gehört zu der Generation, von der Heumann
geredet hat. Als wir uns bei einer Party von Freunden kennenlernten, beendete sie gerade das Studium und fand es charmant,
von einem älteren Mann zum Essen eingeladen zu werden. Anwälte kann man immer brauchen, sagte sie. Doch dann fand sie ihren
ersten gut bezahlten Job, wurde weiterempfohlen, herumgereicht und angefragt, und die Anwälte, |28| die sie kennenlernte, wurden auch immer jünger. Ehe ich mich’s versah, passte ich mit meiner etwas staubigen Kanzlei und meinem
ganzen Auftreten nicht mehr ins Bild. Ich habe diese Kanzlei vor fünfzehn Jahren übernommen und behalten; sie läuft gut, auch
wenn ich keine spektakulären Fälle habe. Sie sieht aus wie das Büro eines Privatdetektivs in einer Chandler-Verfilmung der
vierziger Jahre plus Berliner Jugendstil. Früher hätte ein Kulturmensch so eine Kanzlei poetisch gefunden; heute stehen sie
offenbar auf Schick, da müsste ich zumindest Wirtschaftsanwalt sein und nicht alle möglichen mittellosen Leute bei kleinen
Zankereien beraten. Du mit deiner Vorkriegseinrichtung, hat Irene immer gesagt, anfangs liebevoll, später spöttisch. Stahl
mit Glas oder Schleiflack auf asiatisch fand sie angemessen. Das wäre sicher viel männlicher. Gegen die Jüngeren hab ich übrigens
überhaupt nichts. Viele sind gar nicht so
cool
. Wenn wir noch ein bisschen warten, ist Wedding der nächste Bezirk, der von den Kulturschaffenden erobert wird, habe ich
in der Zeitung gelesen, vielleicht taucht Irene dann wieder auf. Ach was, sie kann mir gestohlen bleiben, mit ihrem roten
Knautschlackmantel und ihren Allüren!
Seit der Typ nix verdient, kriegt er keinen mehr hoch, hat mir mal eine Frau anvertraut, deren Scheidung ich machte. So stehen
die Dinge zwischen richtigen Männern und Frauen. Das fällt mir zu Irene ein.
Es ist eigenartig, dass ich Heumann all die Jahre nicht getroffen habe; er wohnt nur wenige Straßen von mir entfernt hier
im Kiez. Aber ich lebe ja auch in derselben Stadt wie Eva, und ich habe sie später nur ein einziges Mal wiedergesehen. Zufällig,
aus einiger Entfernung auf dem Kudamm, sie schob einen Kinderwagen und trug ein Kind auf dem Arm, es ist schon ein paar Jahre
her. Vielleicht war sie es gar nicht, sagte ich mir damals und schob das Bild schnell von mir weg. Man kann sich ja so schön
in die Tasche lügen.
|29| Ich habe nie begriffen, was es damit auf sich hat, mit dem »richtigen Mann«, aber die Frauen, mit denen ich zusammen war,
wussten es alle. Früher oder später haben sie mich aus diesem Grund verlassen: weil sie es so genau wussten und ich nicht.
Die Frauen haben nicht gesagt, dass ich asexuell wäre (das war das Schlimmste in Evas Augen, wenn eine oder einer asexuell
war, damit ist sie überhaupt nicht klargekommen). Auch nicht schwul. Nein. Du bist gar kein richtiger Mann. Das ist der ewig
wiederkehrende Refrain meines Lebens. Der Refrain, der kommt, auch wenn der Text dazwischen sich ändert.
Damals mit Eva war diese Frage niemals aufgekommen, aber jetzt frage ich mich, ob es womöglich doch damit zu tun gehabt haben
könnte, dass ich sie verlor.
Robert war ein richtiger Macho.
Wie viele Welten nebeneinander in dieser Stadt existieren, wurde mir im Gespräch mit Heumann immer deutlicher; obwohl ich
es weiß, habe ich selten das Gefühl, dass es mich persönlich betrifft.
Wir wechselten das Lokal, nachdem wir vom Bier zu Weißwein übergegangen waren; es wurde allmählich kühl, der Abend kam, ich
lud ihn in das österreichische Lokal ein paar Meter weiter ein, wir hatten wegen der Wurschtsemmeln und Marillenknödel, die
man in unserem Café servierte, Appetit auf ein richtiges Abendessen bekommen. Wir aßen Gulasch mit Serviettenklößen und Strudel
mit Vanillesoße und tranken zwei Flaschen Blaufränkischen und führten ein Gespräch unter Männern, von denen einer kein richtiger
war, und beleuchteten bei der dritten Flasche die daraus entstehenden Verhältnisse von allen Seiten. Mit anderen Worten, ich
erzählte Heumann von Irene, und Heumann hielt mir einen langen komplizierten Vortrag über den Wechsel in den Geschlechterrollen
im Verhältnis zur ökonomischen Selbstorganisation und die entsprechend wachsende Zahl von Künstlerinnen auf dem Weltmarkt,
und obwohl ich höchstens die Hälfte verstand und innerlich |30| schnaufte, feuerte ich ihn mit kräftigem Nicken
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