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Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten

Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten

Titel: Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel Hacke
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an, dreht an zwei kleinen Schrauben und schüttete zehn Säckchen mit Buchstaben in den Trichter. In den Eimer klockerten lange Worte. »Heckspoiler«, las ich, »Fächerauspuffkrümmer, Hinterachsöltemperatur, Ölkühlertrockensumpfschmierung, Absolutdruckladeregelung, Hinterachsquersperre, Magnesiumhohlspeichenrad, Gusskolbenquetschkante, Peitschenantenne, gewichtsoptimiertes Speichendesign.«
    Mein Onkel nahm wortlos die Worte unter den Arm, ging hinaus, gab sie den Männern und sagte: »Hier, zwei mehr, als Sie wollten. Und nun gehen Sie und lassen Sie mich!«
    »Niemals!«, sagten die Männer wie aus einem Mund. Sie gaben Onkel Oskar ein Bündel Geldscheine, das er in seiner Kitteltasche verschwinden ließ. Er schob sie zur Tür hinaus. Dann kehrte er zurück. Er sah mich noch immer nicht an, sondern polierte mit einem weichen Lappen sorgsam die Rohre seiner Maschine.
    »Du verkaufst Worte?«, sagte ich.
    Er polierte weiter.
    »Ick muss es tun«, sagte er schließlich. »Ick brauche Geld. Du hast es ja gehört, wegen meiner Tochter. Und sie brauchen Worte. Sie bauen dauernd neue Autos oder machen Parfüms oder Waschmittel, aber sie haben immer zuwenig Worte und wollen ständig neue. Die holen sie bei mir. Sie wissen seit einiger Zeit von der Maschine, irgendwie wussten sie es, ick weiß nicht, woher. Ick hörte die Worte dann irgendwann wieder, im Fernsehen zum Beispiel. Deshalb stelle ick immer den Ton ab. Es ist mir zu viel, und ick bereue es.«
    Er nahm seine Brille ab und putzte sie mit dem Lappen, den er noch in der Hand hatte. »Zeitungen nehme ick nur noch zum Worte-Einwickeln«, sagte er, »es ist fast dasselbe wie mit dem Fernsehen.« Er setzte die Brille wieder auf.
    »Geh mal jetzt«, sagte er leise.
    Drei Tage später lag er im Krankenhaus, in einem Bett auf einem Flur, bleich und matt. Ein Arm war gelähmt. Der Schlaganfall sei gar nicht so schlimm, aber er habe beschlossen zu sterben, sagten die Ärzte.
    »Mit mir ist es aus«, sagte er selbst. Er schob mir ein kleines Paket zu, etwas Schmales, in Zeitungspapier Gewickeltes.
    »Hier«, sagte er, »steck ein.«
    »Mensch, danke, Onkel Oskar.«
    »Steck weg!«
    Er sprach mühsam, den Blick starr in die Luft gerichtet. »Ick wollte … sie zerschlagen, alles … kaputt hauen … ging nicht mehr. Wahrscheinlich … haben sie sie schon.« Er drehte den Kopf langsam zu mir und schaute mich lange an. »Verstehste?«
    Ich hastete in seine Wohnung. Die Tür war offen, dasZimmer, in dem die Maschine gestanden hatte, leer. Zeitungspapier lag herum, dazwischen ein paar zerbrochene Worte. Ich ging wieder in den Hof. Das Päckchen, das er mir gegeben hatte, steckte in meiner Manteltasche. Ich wickelte das Wort, das darin war, langsam aus, ein nicht sehr langes, gußeisernes, schwer in der Hand liegendes Wort.
    »Kurzschröter.«
    Keine Ahnung, was das war. Ein Tier? Eine Pflanze?
    Seine Tochter stand unter der Kastanie. Ich drückte ihr das Wort in die Hand. Wir gingen zusammen durch den Torbogen des Vorderhauses. Ich holte tief Luft und brüllte:
    »Kurzschröter!!!!«
    Dann blickte ich nach unten auf die Straße. Die Worte standen schon knöchelhoch.

STERBEN VOR PRIMA KULISSE
    D ER T OD KOMMT UNAUFFÄLLIG in die Crellestraße; manchmal bemerkt man ihn nur, wenn er wieder einmal vergessen hat, das Licht auszumachen. Wer weiß denn genau, wie lange Gehrets Leiche damals schon in seiner Küche gelegen hatte, als dem Hausmeister eines Tages auffiel, dass hinter dem Fenster da oben im vierten Stock schon seit Tagen die Lampe nicht mehr ausgeknipst worden war? Die alte Frau in der zweiten Etage erinnert sich nicht einmal mehr, dass Gehret hier je gewohnt hat. Aber dass es keinen Hauswart mehr gibt, weiß sie und faucht es durch den Türspalt hinaus ins Treppenhaus. Bevor sie die Tür schließt, ruft sie noch: »Wir müssen alle raus!«
    Ja, die Crellestraße wird saniert. Auf der Straßenseite gegenüber haben die Häuser schon wieder Farbe. Das Trottoir ist frisch gebügelt, und gusseiserne Pfeiler, Zaunpfähle Altberliner Gemütlichkeit, begrenzen den Gehweg. Um die Ecke bietet der Hundesalon preisgünstig »Fleischschlund, Schlund mit Knorpel, Gurgel, Pansen, Fleck« an. Die Tasse Frucht- und Getreidekaffee bei Mangold-Naturkost kostet 1,20 Mark, und gleich nebenan annonciert der Wirt von»Schultheiß Zur Tankstelle« ein Eisbeinessen, pro Person 15 Mark, »plus ein Freigetränk«, aber nur, wenn man eine Woche vorher bezahlt.
    Das Haus Nummer 17, in dem Gehret

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