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Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten

Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten

Titel: Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel Hacke
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das heißt: Harald Juhnke hat mir neulich erzählt, in seiner Entziehungsklinik in Basel habe er ein Hühnchen gesehen, das meinem verdammt ähnlich sah, mit ganz verschmiertem Lippenstift auf dem Schnabel. Sie hätten zusammen im Fernsehraum eine ältere Juhnke-Show gesehen, sagte er, und das Hühnchen habe sich immer wieder zu ihm umgedreht und schließlich gesagt: »Das sind doch Sie da vorne, Halalld, oder?«
    »Halalld«, habe sie wirklich gesagt, sagt Harald, »Halalld, das sind doch Sie!« An mehr konnte er sich aber auch nicht erinnern.
    Im Grunde bin ich nur noch einmal einem Huhn begegnet, das mir ähnlich viel bedeutete wie das Zwerg-Strupphuhn, auf einer ganz anderen Ebene allerdings. Das war das Leghorn.
    Mythos Leghorn! 250 Eier im ersten, 200 im zweiten Jahr, 60 Gramm Eigewicht, viel Eimasse, aber immer geringer Futterverbrauch. Als Wirtschaftshuhn der Oberklasse kaum zu schlagen, aber dabei von klassisch-italienischem Design, mit edler Linienführung, feinem Federwerk, leicht beweglich, temperamentvoll, immerimmerimmer in kompromisslosem Weiß. Während man jedem mittleren Hahn anderswo Rallyestreifen ins Gefieder flocht, selbst Zwerg-Augsburger in Schwarzgrünmetallic zu haben waren, blieb das Leghorn immer so weiß, wie man es 1830 aus Livorno in die USA gebracht hatte, wo es von der Leghorn-Company zur Serienreife gebracht und seither in Rekordstückzahl gebaut wurde.
    Für mich ist das Leghorn seither der Inbegriff des Huhnes geworden, ein Huhn für alle Tage, für den kurzen Einkauf ebenso wie für den langen Urlaub, ein Huhn für die ganze Familie, langlebig … einfach ein Huhn, mit dem man alt wird und das die Noblesse eines Minorka-Hahnes mit der Mütterlichkeit einer Wyandotte vereint.
    Aber damals hatten sich, das war vor anderthalb Jahren, die Leghorn-Leute in Detroit noch einmal ein ganz anderes Huhn einfallen lassen, ein Leghorn, das mit der Zeit gehensollte, eines für die Young Urban Professionals, mit dem man sich in der Wall Street ebenso sehen lassen konnte wie in der Via Veneto, falls man die Atlantiküberquerung schaffte; ja, ein Leghorn als aktuelle Karrierebegleitung für hier und jetzt, als Ausweis für Erfolg und besonderes Engagement im Beruf. Das Leghorn 190 E 1.8 quattro.
    Ich testete es damals als erster Europäer, als ich gerade bei »Huhn, Motor und Sport« arbeitete. Ich probierte es auf einer Fahrt von Cannes nach Livorno aus – nicht zufällig eine Reise in die Heimat des Leghorn.
    Nie werde ich vergessen, wie ich am Flughafen in Südfrankreich die Testhenne umschritt und sich mir sogleich unauslöschlich einprägte, wo die Ingenieure bei der jahrelangen Arbeit im Windkanal die Prioritäten gesetzt hatten. Natürlich war die fließende Rückenlinie mit dem typischen waagerechten Stück hinter dem Kamm, dem steilen Abfall in die Sattelpartie und dem sanften Anstieg in den breit gefächerten Schwanz nicht angetastet worden. Man hatte das Leghorn nur einfach straffer proportioniert. Wo früher ein breiter, geräumiger Rumpf war, ein voller, weicher Bauch, da hatte das Leghorn 190 E.8 quattro deutlich abgespeckt. Es war schmaler, eleganter geworden, ohne an satter Stämmigkeit zu verlieren, ich schwöre es. Man hatte die Geschlechtsorgane weggelassen, die beiden Bürzeldrüsen tiefer gelegt und im Mastdarm Platz für den Scheibenwaschtank gefunden. Der Lohn: ein um 0,1 verbesserter cw-Wert.
    Keinerlei Zugeständnisse hingegen auch hier bei der Farbe. Da war dieses weiße, sahnige Gefieder und sonst gar nichts. Ich hielt das zunächst für eine Marotte, für puren Eigensinn des legendären Leghorn-Designers, fand es auch ein bisschen altmodisch. Aber war es nicht auch ein Zeichen von Prinzipienfestigkeit?, dachte ich dann. Ich weiß es auch heute noch nicht. Meine leise Aufforderung zur Abreise quittierte der nagelneu konstruierte Antrieb mit einem leisen »Gockgooooock«, und wir schwebten dahin, aus Cannes hin aus, an Nizza vorbei, dann auch an San Remo. Welch eine Laufruhe, welch ein Genuss!
    Da war kein Scharren, kein Gackern, da war nur hennehennehennemäßiges Dahinstieben, ach, Dahinschweben entlang der Côte d’Azur, wie in einem offenen Sporthuhn, aber mit dem Komfort eines flaumreichen Seidenhuhnes. Solche Beschleunigungskraft hatte ich zuvor nur auf einem zornigen Puter erlebt, so leichtes Gleiten nur auf einem polnischen Schwan. Hinter Genua testete ich das Potenzial des Leghorn 190 E 1.8 quattro zum ersten Mal voll aus. Wo einem auf dem alten Modell bei

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