Naked - Hemmungslose Spiele (German Edition)
einen Faustschlag mitten ins Gesicht versetzte.
„Die Stampfkartoffeln sind wirklich köstlich, Mrs Kennedy“, sagte ich so gelassen wie möglich.
Das kollektive erleichterte Seufzen konnte man wohl kaum ignorieren.Aber John schien es gar nicht zu bemerken. Er setzte sofort wieder mit seiner Litanei ein und beklagte sich über alles und jeden. Dieses Mal machte er auch noch Witze. Zu seiner Verteidigung muss ich aber zugeben, dass er zwar ein Eiferer war, aber einer, der mit einer seltsam verdrehten politischen Korrektheit vorging. John Kennedy sprach nicht von „Polacken“, sondern von „polnischen Männern“. Er sagte nicht „Schlitzauge“, sondern „Chinese“. Und nie, nicht ein einziges Mal, während er eine Vielzahl Ethnowitze machte, kam ihm das Wort „Nigger“ über die Lippen.
Ich glaube, wir warteten alle insgeheim darauf. Es hätte mich jedenfalls nicht gewundert, wenn er es gesagt hätte. Ich weiß nicht mal, ob mich das wütend gemacht hätte. Aber bisher hatte es auch noch nie jemand gewagt, mir direkt ins Gesicht zu sagen, dass ich ein Nigger war. Darum wusste ich nicht, wie ich darauf reagieren würde. Aber offenbar wollte ich es wissen. Ich hatte mich schon früher oft genug fehl am Platz gefühlt, weil ich das einzige dunkle Gesicht in einem Raum mit lauter hellen Gesichtern hatte, aber ich hatte noch nie so sehr darauf gelauert, dass jemand mich darauf hinwies.
Am Ende war es kein Schwarzen-Witz, der die heftigste Reaktion hervorrief. Wir hatten das Essen beendet und waren beim Apfelkuchen mit Eis. John hatte sich bereits ein großes Stück einverleibt und verschlang gerade das zweite.
Der erste Schwulenwitz entschlüpfte ihm während einer Tirade über Benzinpreise und Tabaksteuer. Ich schaute zum anderen Ende des Tisches, weil ich wissen wollte, wie Alex darauf reagierte. Er starrte auf seinen Teller. Auf die Eiscreme, die auf seinem unberührten Kuchen schmolz. Seine Haare fielen ihm tief in die Stirn, sodass ich seine Augen nicht sehen konnte.
Niemand hatte auch nur über einen seiner Witze gelacht. Aber das hielt John nicht davon ab, weiter welche zu machen. Der dritte Schwuchtelwitz drehte sich um die Homoehe. Das war der Moment, als ich von meinem Teller aufschaute.
„Ich glaube nicht, dass das besonders lustig ist.“
Totenstille. Nur Mrs Kennedy quiekte auf. Ich schaute nicht zu Alex, um zu sehen, wie er darauf reagierte, sondern hielt meinen Blick auf Johns Gesicht gerichtet.
Er blickte mich prüfend an, und ich fragte mich, weswegen er wohl die ganzen Witze gemacht hatte. Seine Augen blitzten, und ich sah darin diese finstere und böse Intelligenz, die schlimmer war als jede Dummheit. Er dachte wirklich, er habe das Recht dazu, so über die Schwarzen, die Schwulen, die Latinos, Schlitzaugen und Juden zu denken. Ihm schien gar nicht aufzufallen, dass er genauso einem Stereotyp entsprach wie all die anderen ethnischen Gruppen, die er so durch den Dreck zog.
„Tja, also“, meinte er schließlich und grinste anzüglich. „Ich glaube, ich finde Schwuchteln auch nicht lustig.“
Und dabei beließ er es.
Im Haus der Kennedys gab es eine klare Rollenverteilung. Die Frauen räumten nach dem Essen den Tisch ab, während die Männer sich in den Keller zurückzogen und fernsahen. Alex blieb oben, bis eine seiner Schwestern ihn wegscheuchte.
„Geh uns aus dem Weg“, sagte sie nicht unfreundlich. „Wir wollen deine Olivia besser kennenlernen.“
„Schaffst du das?“, fragte er und gab mir einen Kuss.
„Bestimmt“, versprach ich ihm und warf einen kurzen Blick in die Küche, wo die anderen Frauen sich nützlich machten. „Ich schaff das.“
„Es tut mir leid.“ Er klang ziemlich niedergeschlagen und war ganz blass. Er hatte auch nicht besonders viel gegessen.
Ich berührte seine Wange. „Schatz, es gibt auf der Welt so viele unterschiedliche Menschen. Manche sind eben einfach Arschlöcher.“
Er lächelte und gab mir noch einen Kuss. „Ich liebe dich.“
„Ich weiß. Und nun geh.“ Ich schob ihn zur Treppentür. „Geh und … tausch dich mit deinem Vater aus.“
„Als ob ich das könnte“, murmelte er verzweifelt. Doch er ging nach unten.
Ohne ihren Mann in der Nähe erwies Jolene Kennedy sich als eine Frau mit einem feinen Sinn für Humor, auch wenn sie nicht besonders viele Scherze machte. Sie hatte ein schönes Lachen, das in der engen Küche laut widerhallte. Sie ließ sich von ihren Töchtern auf einen Stuhl schieben und spielte mit ihren
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