Naked - Hemmungslose Spiele (German Edition)
John Kennedy war vermutlich von seiner Frau vorgewarnt worden, denn obwohl sein unruhiger Blick mich praktisch sezierte, wirkte er nicht so überrascht wie sie. „Willkommen, Mädel. Wir haben lange drauf gewartet, dass der Junge mal wen mit nach Hause bringt. Zum Teufel, wir sind einfach nur froh, dass du ein Mädchen bist, hm?“
Sein schenkelklopfendes Haha war das einzige Lachen. Alex’ Schwestern schauten alle in andere Richtungen, und Alex sagte gar nichts.
Ich räusperte mich. „Es freut mich, Sie kennenzulernen, Sir.“
„Sir? Sir, wirklich? Sie hat gute Manieren, mein Sohn. Aber du musst mich nicht mit Sir anreden, Livvy. Nenn mich einfach John.“
„Ihr Name lautet Olivia“, sagte Alex angespannt. „Nicht Liv.“
Sein Vater schaute ihn an. John Kennedy war bei Weitem nicht so dumm, wie er tat. Er lächelte böse und brachte seinen Sohn mit einem finsteren Blick zum Schweigen. „Ich habe dich beim ersten Mal durchaus verstanden.“
„Ähm, das Essen ist fertig“, sagte Mrs Kennedy, die für michnoch immer keinen Vornamen hatte. „Lasst uns einfach in Ruhe essen, ja?“
John tätschelte seinen dicken Bauch. „Ja, das machen wir. Komm, Liv … Olivia. Du sitzt heute neben mir.“
Ich wusste nicht, ob das eine Ehre oder eine Bestrafung sein sollte. John Kennedy kaute mir während des Essens geradezu ein Ohr ab, denn er hatte zu vielen Themen eine Menge zu sagen – Religion, Politik, Zeitungskolumnen. Steuern. In diesem Land lief eine Menge falsch, wenn man John glaubte, und es schien allein die Schuld der Leute zu sein, die nicht er waren.
„Bist du Vegetarierin?“
Seine Frage überraschte mich, weil er sich dafür eigens in einem Monolog unterbrach, in dem er sich lang und breit über die örtliche Filiale einer Kaufhauskette ausließ, die offenbar nicht mehr seine Lieblingszigarettenmarke führte. Überrascht schaute ich zum Ende des Tisches, wo Alex eine seiner Nichten mit einem Zaubertrick unterhielt. Ich schaute auf meinen Teller. Das meiste hatte ich gegessen.
„Nein.“
John zeigte mit der Gabel auf die kleine Scheibe Schinken, die ich aus purer Höflichkeit genommen, aber nicht angerührt hatte. „Du isst das da aber nicht.“
„Dad, verdammt noch mal …“
„Hey!“ John zog die dichten Brauen nach unten und stieß mit der Gabel in die Luft. „Pass auf dein verdammtes Mundwerk auf.“
Einige der Kinder kicherten. Alex nicht. Er stellte den Salzstreuer weg, den er vergeblich hatte verschwinden lassen wollen.
„Sie muss nicht alles essen, wenn sie das nicht will.“
„John“, sagte Mrs Kennedy furchtsam. „Der Schinken ist sehr salzig. Vielleicht mag Olivia ihn einfach nicht.“
John streckte den Arm aus, spießte das Stück Schinken auf meinem Teller auf und hob es an den Mund. Er nahm einen Bissen, kaute und schluckte. „Mit dem Schinken ist verdammtnoch mal alles in Ordnung, Jolene. Ich habe mich nur gefragt, ob’s einen Grund gibt, wieso Livvy ihn nicht essen mag.“
Meine Hände krampften sich in meinem Schoß zusammen, und ich hoffte inständig, dass niemand sah, wie sie zitterten. „Ist wirklich nicht böse gemeint, Mrs Kennedy. Ich bin überzeugt, er schmeckt köstlich.“
„Hm. Ich dachte, du isst ihn vielleicht nicht, weil du eine von diesen Muselmanen bist.“
„Dad!“ Alex schob seinen Stuhl vom Tisch weg, doch ich warf ihm einen warnenden Blick zu.
„Ich bin keine Muslima, Mr Kennedy.“
Er beäugte mich misstrauisch. „Gut. Weil ich nämlich keinen gottverdammten Muslim an meinem Tisch dulden werde.“
Mir gegenüber stöhnte Johanna auf und ließ den Kopf in die Hand sinken. „Dad. Um Himmels willen!“
„Was ist ein Muselman?“, wollte eines der kleineren Kinder wissen.
Niemand sagte ein Wort.
John warf mir ein Grinsen zu, das nur aus schiefen gelben Zähnen zu bestehen schien. „Na, Hauptsache du bist keine.“
Ich wollte in diesem Moment am liebsten aufstehen und ihm die Halskette zeigen, die meine Mutter mir geschenkt hatte. Ich wollte stolz verkünden, dass ich eine Jüdin war. Und sei es nur, um zu sehen, ob ihn das auch so stören würde. Ich wollte dazu stehen, was ich war. Aber ich fing Alex’ Blick auf und bemerkte den wütenden Zug um seinen Mund. Ich wusste sofort, dass ich damit nichts anderes erreichen würde, als einen Haufen Probleme zu schaffen. John würde dann vermutlich etwas schrecklich Gemeines sagen, und wenn ich den Blick von Alex richtig deutete, konnte das dazu führen, dass er seinem alten Herrn
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