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Namibische Nächte (German Edition)

Namibische Nächte (German Edition)

Titel: Namibische Nächte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle van Hoop
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in ihre Arme. »Glaub mir, es tut mir so leid«, flüsterte sie, als sie den kleinen Körper zärtlich umfasste. »So leid.«
    Sie spürte Tuhafenis Zittern, als sie krampfhaft versuchte, ein Schluchzen zu unterdrücken. »Kommst du wieder?«
    Wenn sie das doch nur sagen könnte. Wie sehr wünschte sie sich das. »Nein«, antwortete sie, und ihre Stimme klang tonlos. »Ich komme nicht wieder.«
    Tuhafeni klammerte sich an sie. »Bitte«, flehte die leise Kinderstimme sie an. »Bitte . . . komm wieder.«
    Jetzt konnte Vanessa die Tränen nicht mehr zurückhalten. »Ich kann nicht!«, stieß sie hervor, löste sich von Tuhafeni und rannte zum Haus.
    Eine ganze Weile saß sie wie betäubt in ihrem Zimmer, starrte blicklos vor sich hin. Tuhafeni hatte den Schmerz, den sie so mühsam zu unterdrücken versucht hatte, aus ihrem tiefsten Inneren herausgeholt. Er überwältigte sie.
    Sobald sie im Flugzeug saß, würde all das hier nur noch eine Erinnerung sein. Sie würde nichts davon mitnehmen können. Tuhafeni nicht, Kian nicht. Namibia nicht.
    Das Flugzeug würde sie dorthin zurückbringen, wo sie hergekommen war. In ein Leben, das ihr noch nie so trostlos erschienen war wie jetzt. In ein Leben ohne Sonne und Licht, ohne den weiten Blick über die Savanne, ohne ihren Freund, den kleinen Drachen. Ohne Löwengebrüll in der Nacht. Ohne die Stille, die sie hier umfing.
    Ohne, ohne, ohne. Das Gefühl eines gewaltigen Verlustes überkam sie. Vor zwei Wochen hatte sie noch nicht gewusst, dass es das alles gab, und jetzt war es, als würde ihr Leben davon abhängen.
    Es klopfte.
    Eigentlich wollte sie mit ihrem Schmerz allein sein, aber vielleicht war Tuhafeni ihr nachgekommen. »Ja?«
    Die Tür öffnete sich. »Du fährst morgen Früh nach Windhoek?«
    Sie schluckte. »Ja. Das Flugzeug geht um zehn.«
    »Dann musst du früh aufstehen«, sagte Kian. Immer noch stand er in der Tür, ohne sich zu rühren.
    »Muss ich die Hütte jetzt schon räumen?«, fragte sie mit schief verzogenen Mundwinkeln.
    »Nein.« Er schloss die Tür hinter sich und machte einen Schritt auf sie zu, blieb stehen. »Ich dachte nur . . . ich wollte dir etwas zeigen.« Er trat an die Verandatür. »Der Mond geht gerade auf.«
    »Der Mond?« Vanessa runzelte die Stirn. »Aber die Sonne scheint doch noch.«
    Er lächelte. »Das stört ihn nicht.«
    Vanessa ging zu ihm. »Kann man ihn denn überhaupt sehen, wenn die Sonne noch scheint?«
    »Sehr gut.« Er wies hinaus. »Sieh selbst.«
    Sie schaute hinaus und sah nur einen kleinen, silbernen Halbkreis über dem Horizont. Was jedoch merkwürdig erschien, war, dass dieser Halbkreis sich vor ihren Augen vergrößerte. Langsam wurde er breiter und breiter.
    »Das ist ja –« Ihr blieb fast der Mund offenstehen. Schon während sie hinausstarrte, war der Mond noch weiter über den Horizont getreten. »Das sieht ja aus wie auf einer Bühne. Als ob er an Strippen hochgezogen wird. So schnell.«
    »Ja.« Er lächelte sie an. »Genauso wie die Sonne. Man kann dabei zuschauen.«
    Fasziniert beobachtete sie das Schauspiel. Es dauerte nur ein paar Minuten, dann stand der Mond voll am immer noch hellen Himmel, aber er schien so nah, als würde er ihnen direkt von der Veranda aus zublinzeln.
    »So etwas habe ich noch nie gesehen«, sagte sie leise. Sie war so beeindruckt, dass sie nicht laut sprechen konnte. Sie wandte den Kopf zu Kian. »Danke.«
    »Dank dem Mond«, erwiderte er, während er sie ernst anschaute. »Ich hatte nichts damit zu tun.«
    »Doch.« Sie hielt seinen Blick fest. »Du hattest alles damit zu tun.«
    »Nessa . . .« Ihm schien die Stimme zu versagen. Er räusperte sich. »Johannes wird dich abholen, um dich zum Flughafen zu bringen«, sagte er. »Um fünf.« Er drehte sich um.
    »Kian.«
    Er verhielt in der Bewegung, drehte sich aber nicht zu ihr zurück.
    »Ich will nicht gehen«, wisperte sie. Jedes laute Wort würde alles zerstören. Diesen letzten vom Mondlicht verzauberten Augenblick. »Aber ich muss.«
    »Ich weiß.« Seine Stimme klang dumpf.
    »Ich liebe dich«, flüsterte sie. »Ich werde dich immer lieben.«
    Langsam wandte er sich zu ihr. Er sagte nichts.
    Sie trat auf ihn zu, hob sich auf die Zehenspitzen und hauchte einen Kuss auf seine Lippen.
    Er legte einen Arm um sie, zog sie näher zu sich heran. Ihre Lippen suchten die des anderen, konnten sich nicht voneinander lösen, schufen eine Verbindung, die in ein Verschmelzen der Münder überging. Es war, als würden sie ineinander

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