Namibische Nächte (German Edition)
festnehmen und ihm das Handwerk legen konnte. Sie allein konnte hier nichts ausrichten. Abgesehen davon, dass sie auch gar nicht gewusst hätte, was sie tun sollte, sollte Kretschmer ihr über den Weg laufen.
Die Sonne schien ihr heiß ins Gesicht. Sie zog ihren Hut tiefer in die Stirn hinunter.
Immer noch war es um sie herum verdächtig ruhig. Sie wunderte sich. Vorsichtig ging sie die Stufen zum Haus hinauf. Auch wenn sie sich dabei etwas merkwürdig vorkam, schlich sie sich ins Haus statt wie sonst einfach hineinzugehen.
Sie schaute in den Aufenthaltsraum, da war niemand, sie schaute in die Küche, auch dort war niemand. Was merkwürdig erschien, denn auch wenn gerade keine Mahlzeit vorbereitet wurde, hielt sich dort immer jemand auf, trank etwas, unterhielt sich mit den anderen oder – was sie auch schon gesehen hatte – schlief einfach auf dem Tisch oder auf dem Boden.
»Ness!« Es klang wie ein Niesen.
Erst im zweiten Moment erkannte sie, dass es wohl ihr Name sein sollte. Sie wandte den Kopf in Richtung des Geräuschs.
Kian hockte vor der Tür, die in die hinteren Räume führte, mit einem Gewehr in der Hand. Er bedeutete ihr, die Küche schnellstmöglich wieder zu verlassen.
Sie runzelte die Stirn. Was war hier los?
Statt von ihm weg ging sie auf ihn zu.
Er rollte die Augen und griff nach ihrem Arm, sobald sie in Reichweite war, riss sie zu sich herunter.
»Was –?«
Schnell hielt er ihr die Hand über den Mund. »Psch!«
Er hob fragend die Augenbrauen, und sie nickte. Vorsichtig zog er die Hand von ihrem Mund weg.
»Kretschmer«, flüsterte er so leise, dass sie ihn kaum verstehen konnte. »Er hat Isolde. Sie soll ihn verarzten.«
Vanessa warf einen Blick auf sein Gewehr.
»Ich kam zu spät«, flüsterte er. »Er hat auch noch ein paar Küchenmädchen als Geiseln. Der zweite Mann . . .«
»Was willst du tun?« Auch ihre Stimme war fast nur ein Säuseln in der Luft.
»Er kommt hier nicht raus«, flüsterte Kian. »Das schwöre ich.«
»Polizei?«, fragte Vanessa leise.
»Ich hab sie schon angerufen, aber sie werden eine Weile brauchen.«
Auf einmal hörten sie Geräusche hinter der Tür.
Schnell hielt Kian sich einen Finger über die Lippen.
Die Tür wurde aufgestoßen. Zuerst kam ein schwarzer Mann mit einem Gewehr heraus. Da die Tür Kian und Vanessa verdeckte, entdeckte er sie nicht, als er sich umschaute.
Als nächstes kam Isolde. Kretschmer hielt ihr eine Pistole an die Schläfe.
Jetzt reagierte Kian. Er schlug die Tür gegen Kretschmers Arm und zielte gleichzeitig mit dem Gewehr auf den Mann, der zuerst herausgekommen war.
Der riss das Gewehr an die Schulter, Kian schoss, der Mann fiel zusammen, das Gewehr knallte auf den Boden.
Als hätte sie nur darauf gewartet, sprang Isolde hin und hob es auf, hielt den Mann, der stöhnend am Boden lag, in Schach.
Kian hatte Kretschmers Pistole, die er ihm mit der Tür aus der Hand geschlagen hatte, zwischenzeitlich in seinen Gürtel gesteckt und richtete das Gewehr auf ihn.
»Schieß doch, du Feigling«, knurrte Kretschmer. Sein Hemd war an der Seite blutdurchtränkt. Darunter leuchteten weiße Binden hervor.
»Ich bin kein Mörder«, erwiderte Kian mit zusammengebissenen Zähnen, »wie du.« Er schaute zu Isolde hinüber. »Alles in Ordnung?«
Sie nickte. »Er hat mir nichts getan. Die Mädchen sind hinten eingesperrt.«
Kian packte Kretschmer, der vor Schmerz aufstöhnte, und zwang ihn, sich an die Wand zu setzen.
»Lass die Mädchen raus, Nessa«, sagte er. »Die sind bestimmt schon halb verrückt vor Angst.«
Vanessa hatte das Gefühl, das alles wäre nicht real, sie wäre irgendwie in einen Film geraten, einen namibischen Western. Nun hörte sie auch das Gekreisch aus den hinteren Räumen. Sie ging dem Geräusch nach und öffnete das Schloss an der Tür. Die Frauen starrten sie einen Moment mit aufgerissenen Augen an, dann erkannten sie sie.
»Es ist alles vorbei«, sagte sie auf Englisch. »Die Polizei kommt gleich.«
Sofort stürzten sie an ihr vorbei in die Küche.
Sie ging ihnen langsamer nach. Erst Stück für Stück kam ihr zu Bewusstsein, was gerade hier geschehen war. Und was hätte geschehen können . . . Isolde, die Mädchen, Kian hätten tot sein können. Sie selbst –
Sie schluckte. Es war erstaunlich, dass Kian überhaupt schon wieder ein Gewehr halten konnte. Wenn nicht der Verband um seine Schulter gewesen wäre, hätte man meinen können, es wäre gar nichts passiert. Er hätte nicht vor ein paar Tagen
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