Nana - der Tod traegt Pink
seiner Alufassade mit den winzig wirkenden Fenstern, die ein symmetrisches Muster bilden, und der Säulenkonstruktion auf dem Dach, die einem Grillaufsatz ähnelt, mehr oder weniger schmeichelnd »Toaster«: Münchens größter zusammenhängender Krankenhauskomplex, die zweitgrößte Klinik Deutschlands, Teil der Ludwig-Maximilians-Universität, Sitz für Forschung und Ausbildung. Eine Medizinmaschine mit 2200 Betten, in der Erkrankte und Angehörige über die sogenannte »Besucher-« und die »Patientenstraße« mit über 300 Metern Länge zu Stationen und Untersuchungsabteilungen gelotst werden. Hier sitzen Spezialisten aller
relevanten Fachrichtungen, um im Bedarfsfall bei entsprechenden Fragestellungen schnell hinzugezogen werden zu können. Alle diagnostischen Einrichtungen liegen auf dem Gelände und erfordern keine Fahrten an andere Standorte. Die Patienten stammen nicht nur aus München und Umland. Zum Teil werden sie von Kliniken aus ganz Deutschland hierher überwiesen, um komplexe und problematische Erkrankungen nach neuestem medizinischem Forschungsstand behandeln zu können.
Als Nana am 21. Oktober 2010 zur Abklärung unklarer starker Schmerzen stationär auf der Neurochirurgie in Großhadern liegt, hat sie bereits den ersten Teil ihrer Anamneseodyssee hinter sich. Begonnen hatte alles mit Ahnungen, die sich im Nachhinein als Teile eines klar erkennbaren Puzzles zusammensetzen werden: Blässe, Appetitlosigkeit, ein geschwollenes Gelenk, dessen Schwellung sich unter Ibuprofen schnell wieder zurückbildet. Ein leichtes Ziehen im Oberschenkel beim Hinknien, ohne feststellbare Ursache. Dazu immer wieder diese schnelle Erschöpfung und Kraftlosigkeit. Als Nana über stetig stärker werdende Rückenschmerzen klagt, wird bei der Untersuchung ein gebrochener Wirbel festgestellt. An eine Verletzung, die dem vorausgegangen sein könnte, kann sie sich jedoch nicht erinnern. Nanas Mutter Barbara, die seit über 25 Jahren im medizinischen Bereich arbeitet, realisiert schnell, dass dies nichts Gutes heißen kann:
Spätestens zu diesem Zeitpunkt waren wir höchst beunruhigt, auch wenn bis zur tatsächlichen Diagnose noch eine weitere Woche vergehen sollte. Nach unzähligen aufwendigen Untersuchungen warteten wir jetzt auf die Besprechung. Als Letztes hatte man eine ›PET-CT‹ erstellt die speziell in der Krebsdiagnostik eingesetzt wird: Die Positronen-Emissionstomografie kann bösartiges von gutartigem Gewebe unterscheiden und stellt nicht nur mögliche Tumore dar,
sondern zeigt auch deren Metastasen im gesamten Körper an. Entsprechend nervös erwarteten wir an diesem Tag das Ergebnis. Ich hatte nur kurz das Zimmer verlassen, als Nana mir bei meiner Rückkehr mitteilte, der Arzt wolle mich sprechen. Ich klopfe also an die entsprechende Tür und treffe dort einen jungen Arzt an. Er zeigt mir die Schwarmveißausdrucke der PET-Bilder aus Nanas Körper und erläutert der gebrochene Wirbelkörper sei durch eine Metastase verursacht worden. Hauptherd sei ein bösartiger Tumor im rechten Oberschenkel; dieser habe bereits weitere kleinere Metastasen in der Wirbelsäule und im Beckenbereich gestreut. ›Und jetzt?‹ Ich starre den jungen Arzt mit ungläubigen Augen an: ›Soll ich das jetzt meiner Tochter so sagen?‹ Der Mediziner schluckt schenkt mir einen hilflosen Blick und zuckt verlegen mit den Schultern.«
Barbara ist also die Aufgabe zugefallen, diesen erschütternden Befund ihrer 20-jährigen Tochter zu überbringen. Was sich im Gespräch mit dem Arzt auf ein paar Bilder und Fakten verdichtet hatte, bedeutet für Nana den Wendepunkt in ihrem bisherigen Leben. All ihre Planungen und Hoffnungen werden auf unbestimmte Zeit zunichte gemacht. Als normale Reaktion würde man erwarten, Tochter und Mutter in dieser Situation nicht allein zu lassen. Doch hier, in der Neurochirurgie, kann man an diesem Tag – außer der Überweisung in die Onkologie – nichts mehr für die beiden tun.
Natürlich ist es für keinen Mediziner leicht, einer jungen Frau zu eröffnen, dass sie nicht nur eine bösartige Erkrankung, sondern bereits Metastasen im Körper hat. Wer würde sich darum schon reißen? Vielleicht müssen die Arzte in Großhadern auch zu vielen Patienten zu viel Trauriges mitteilen und stumpfen mit der Zeit ab gegenüber den persönlichen Tragödien, die hinter jedem aggressiven Tumor stecken. Mit welcher Empathie hieße es da, sich in die Biografie des einzelnen Patienten hineinzudenken! Und: Beinhaltet die
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