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Nana

Titel: Nana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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eine Stimme, so dünn wie die eines jungen Hahns, überzeugten Tones ausrief: Sehr schick!
    Alles blickte nach der Stelle, woher diese Worte kamen. Der Knabe hatte gerufen: der Schüler aus dem Gymnasium, der mit weitgeöffneten Augen und hochgerötetem Antlitz Nana bewunderte. Als er sah, daß alles sich nach ihm umwandte, errötete er tief über das unbeabsichtigte Aufsehen. Sein Nachbar Daguenet schaute ihn lächelnd an; das Publikum lachte, gleichsam entwaffnet, niemand zischte mehr. Auch die jungen Leute wurden durch die kecke Erscheinung Nanas immer mehr eingenommen und begannen mit den weißbehandschuhten Händen zu klatschen:
    Brav, sehr gut!
    Als Nana den Saal lachen sah, lachte sie auch. Die Heiterkeit machte Fortschritte. Alles in allem war das schöne Mädchen recht drollig. Wenn sie lachte, erschien ein reizendes Grübchen in ihrem Kinn. Sie gewann sofort Fühlung mit dem Publikum; durch ein Augenzwinkern schien sie selbst ihm sagen zu wollen: Ich weiß, daß ich kein Stümpfchen Talent habe; aber das tut nichts, ich habe dafür etwas anderes. Sie gab dem Kapellmeister ein Zeichen, das ungefähr besagen wollte: Vorwärts, mein Lieber! und begann ihr zweites Couplet:
     
    »Venus geht um Mitternacht vorbei ...?«
     
    Es war die nächste schrille Stimme, aber sie kitzelte damit das Publikum an der rechten Stelle, so daß zuweilen ein leises Beben die Menge durchzuckte. Nana lächelte immerfort, und dieses Lächeln heiterte ihr kleines rotes Mündchen auf und leuchtete aus ihren schönen hellblauen Augen. Bei gewissen, etwas lebendigeren Versen rümpfte sich lüstern das Näschen, dessen Flügel zitterten, während ihre Wangen aufglühten. Sie fuhr fort, den Körper zu wiegen, offenbar wußte sie nichts anderes anzufangen. Man fand dies allmählich gar nicht übel; die Herren richteten ihre Operngläser auf sie. Als sie das Couplet beendigte, versagte ihr die Stimme: sie begriff, daß es nicht weiter gehe. Ohne sich darüber viel zu grämen, machte sie eine Bewegung mit den Hüften, wodurch unter dem dünnen Gewande die Rundung ihrer Formen sich abzeichnete. Ein Beifallssturm brach los. Dann kehrte sie um und ging ab, wobei ihr Nacken sichtbar wurde, über den ihre rötlichblonden Haare gleich einer Mähne herabfielen. Der Beifall steigerte sich bis zur Raserei.
    Der Aktschluß war kühler. Vulkan wollte Venus mit Faustschlägen traktieren. Die Götter hielten Rat und beschlossen, daß auf Erden eine Untersuchung stattfinden solle, bevor den betrogenen Ehegatten Genugtuung gegeben werde. Diana, die den Austausch von zärtlichen Worten zwischen Venus und Mars erlauscht hatte, schwur, daß sie die beiden während der Reise nicht mehr aus den Augen verlieren wolle. Es folgte noch eine Szene, in der Amor, dargestellt von einem flotten Backfisch von zwölf Jahren, auf alle Fragen in weinerlichem Tone erwiderte: »Ja, Mama ... Nein, Mama ...« und dabei fortwährend im Näschen herumbohrte. Dann bestrafte Jupiter als strenger Meister den Amor, indem er ihn in sein schwarzes Kabinett sperrte und ihm das Zeitwort »lieben« zwanzigmal zu konjugieren aufgab. Der Schluß gefiel besser: es war ein Chor, von dem Personal und dem Orchester ausgezeichnet vorgetragen.
    Allein als der Vorhang gefallen war, bemühten sich die bezahlten Beifallsspender vergebens, das Publikum mit fortzureißen. Alles war schon aufgestanden und drängte den Türen zu. Man stieß und schob sich durch die engen Sitzreihen, wobei die Leute ihre Bemerkungen über das Stück austauschten.
    Das einstimmige Urteil lautete: Blöd!
    Ein Kritiker meinte, man müsse diesem Stück unbarmherzig zu Leibe gehen. Das Publikum aber kümmerte sich um das Stück wenig, man sprach vorwiegend von Nana. Fauchery und La Faloise, die als erste hinausgegangen waren, trafen im Orchestergang Mignon und Steiner. Man erstickte fast vor Hitze in diesem engen Schlauch; sie standen einen Augenblick am Fuße der rechtsseitigen Treppe im Schatten der Rückseite der Rampe. Die Zuschauer der höheren Ränge stiegen unter fortwährendem Geklapper ihres derben Schuhwerks herab; eine Flut von schwarzen Röcken wälzte sich vorüber, eine Türschließerin bemühte sich vergebens, einen Sessel, auf dem allerlei Kleider aufgehäuft waren, gegen das Anstürmen der Menge zu schützen.
    Aber ich kenne sie ja! rief Steiner, sobald er Faucherys ansichtig wurde. Ich habe sie sicher irgendwo gesehen. Ich glaube gar, im Kasino ... Und dort war sie dermaßen betrunken, daß man sie vom Boden

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