Narben
Er hat immer nur an sich selbst gedacht. Sie haben aus Selbstlosigkeit fast Ihr Leben verloren.«
»Jedenfalls ist es jetzt vorbei.«
Mir war bewußt, daß das nicht stimmte. Nichts war vorbei. Ihre Trauer um Peter war längst noch nicht überwunden, und warum sie den Kopf in den Ofen gesteckt hatte, wußte ich immer noch nicht. Es war auch noch nicht klar, ob Schwandts Hexen hinter ihr her waren oder nicht.
Sie griff nach ihrer Handtasche. »Im Augenblick gibt es wohl nichts mehr, worüber wir reden könnten.«
»Sind Sie müde?«
»Sehr.«
»Warum fahren Sie nicht nach Hause und schlafen sich aus?«
»Das geht leider nicht. Ken will mit mir herumfahren, und ich möchte nicht nein sagen.«
»Wohin soll es denn gehen?«
»Palm Springs, San Diego… Er ist ein netter Kerl, aber… Ich habe wirklich nichts gegen ihn - ich weiß, es klingt furchtbar -, aber manchmal geht er mir auf den Wecker. Was soll ich tun?«
»Erklären Sie ihm, daß Sie ein bißchen Zeit für sich selbst brauchen. Das sollte er doch verstehen.«
»Ja, das sollte er.«
Später rief Milo an. »Ich dachte, es interessiert dich vielleicht: Lowells Mercedes ist am Burban Flughafen gefunden worden, auf dem Langzeitparkplatz. Das heißt, die junge Dame hat sich wahrscheinlich aus dem Staub gemacht.«
»Das kann ich ihr nicht verdenken.«
»Wir nehmen morgen Fingerabdrücke in Lowells Haus. Ich hoffe, daß wir dann endlich herausfinden, wer sie wirklich ist. Wir kommen zwar auch ohne ihre Aussage aus, aber schaden würde es nicht, wenn wir den versuchten Mord an ihr auch noch auf Graydons Liste setzen könnten. Doris Reingold haben wir inzwischen bei ihrem Sohn in Tacoma ausfindig gemacht. Die dortige Polizei behält sie im Auge, und nächste Woche kommt sie zurück. Gwen Sheas Anwalt hat uns informiert, daß Tom aus Mexiko angerufen hat. Er erholt sich da bei einem alten Freund. Es war ihm wohl alles zuviel geworden. Er brauchte etwas Abstand, aber jetzt hat er sich offenbar bei Gwen entschuldigt und versprochen, morgen zurückzukommen. Aber wir betrachten die drei nur als Zeugen. - Die beste Nachricht ist, daß Graydon-Jones bei seiner Aussage gegen Ape bleibt. Es scheint ihm endlich aufgegangen zu sein, daß das seine einzige Überlebenschance ist. Apes Anwalt brüllt die ganze Zeit herum und verlangt, daß das Geständnis für ungültig erklärt wird, doch der Staatsanwalt meint, die Chancen sind gut, daß es als Beweismittel zugelassen wird. Die zweite gute Nachricht ist, daß die Kollegen von der Drogenfahndung Drogen im Wert von zwanzig Millionen Dollar bei Ape gefunden haben. Mit anderen Worten, er hat einigen Ärger am Hals.«
»Ist er noch im Gefängnis?«
»Aber sicher. Darauf kannst du Gift nehmen.«
49
Am nächsten Tag erhielt ich ein Päckchen aus Englewood, New Jersey, in dem ich einen blauen Ordner mit zweihundert säuberlich getippten Manuskriptseiten fand. An den Deckel war eine weiße Karte geheftet, Dr. med. Mullins , mit einer handgeschriebenen Zeile: Dies ist Darnels Buch. Ich hoffe, es gefällt Ihnen. - W. M.
Ich las etwa die Hälfte des Manuskripts. Es war manchmal ein bißchen holprig, doch an vielen Stellen war eindeutig Talent zu erkennen. Es ging um einen jungen Mann, halb schwarz, halb weiß, der sich in der Literaturwelt behauptet. In einer Reihe von Jobs und Liebesbeziehungen versucht er, seine Identität zu finden. Mit der Braut, von der im Titel die Rede war, war die Kunst gemeint.
Ich legte den Ordner weg und wählte Lucys Nummer. Es war niemand zu Hause. Wahrscheinlich hatte sie es nicht übers Herz gebracht, Ken zu enttäuschen. Oder sie hatte sich durchgesetzt und irgendwohin zurückgezogen.
Wie auch immer, ich konnte warten. Ich wußte, wie ich in Zukunft mit ihr arbeiten würde.
Am Abend meldete sich mein Telefondienst mit einem dringenden Anruf von Wendy Embrey.
»Dr. Delaware?«
»Ich bin es persönlich. Hallo, Wendy.«
»Wie geht es Lucretia?«
»Gut, aber -«
»Haben Sie sie in letzter Zeit gesehen?«
»Ja, gestern.«
»Vielleicht hat es nichts zu bedeuten, aber ich hatte soeben eine Frau am Draht, mit der Sie meiner Meinung nach sprechen sollten. Ich weiß, jede Geschichte hat zwei Seiten, aber nach dem, was sie mir erzählt hat, sollten Sie sie unbedingt anrufen.«
»Wer ist die Frau?«
Sie nannte mir den Namen. »Ich habe sie über ihren Vater ausfindig gemacht. Dem gehört die Immobilienfirma. Es ging mir natürlich um die Rechnung, aber das ist jetzt unwichtig. Ich habe ihr
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