Narkosemord
meinte die Schwester. »Erstgebärende. Vierundzwanzig. Gesund.«
»Wer ist der behandelnde Arzt?«
»Simarian«, antwortete die Schwester.
Jeffrey sagte, er sei gleich drüben, und legte auf. Simarian, dachte er. Das dürfte kein Problem werden. Der Kerl war technisch ausgezeichnet; Jeffrey fand nur sein herablassendes Benehmen den Patientinnen gegenüber schwer erträglich. Gottlob war es aber nicht Braxton oder Hicks. Ihm lag daran, daß die Sache reibungslos und hoffentlich auch schnell über die Bühne ginge. Hätte es sich um einen der beiden anderen gehandelt, dann wäre das nicht der Fall gewesen.
Er verließ das Anästhesistenzimmer und ging den Hauptkorridor hinunter, vorbei an der Einsatzzentrale mit ihrer üblichen geschäftigen Betriebsamkeit. Die Abendschicht fing in Kürze an, und der Wachwechsel bedeutete unausweichlich ein paar Minuten Chaos.
Jeffrey stieß die Doppelschwingtür zum Aufenthaltsraum der Chirurgie auf und riß die Maske ab, die an ihrem Gummiband vor seiner Brust baumelte. Erleichtert warf er sie in den Müllcontainer; sechs Stunden lang hatte er jetzt durch das verfluchte Ding geatmet.
Der Aufenthaltsraum wimmelte von Mitarbeitern, die zum Dienst kamen. Jeffrey ignorierte sie alle und ging weiter in den Umkleideraum, wo das Gedränge ebenso groß war. Vor dem Spiegel blieb er stehen; neugierig schaute er, ob er so schlecht aussah, wie er sich fühlte. Ja. Seine Augen schienen in den Schädel zurückgewichen zu sein, so eingesunken sahen sie aus. Darunter waren dunkle, halbmondförmige Flecken zu erkennen. Sogar sein Schnurrbart machte einen strapazierten, verschlissenen Eindruck; aber was konnte man erwarten, wenn er ihn sechs volle Stunden lang unter der Atemschutzmaske versteckte?
Wie die meisten Ärzte, die sich gegen die durch das Medizinstudium hervorgerufene chronische Hypochondrie zur Wehr setzen, verfiel Jeffrey oft ins andere Extrem: Er leugnete oder ignorierte sämtliche Symptome von Krankheit oder Erschöpfung, bis er schließlich davon überwältigt zu werden drohte. Dieser Tag war keine Ausnahme. Seit er am Morgen um sechs aufgestanden war, fühlte er sich schrecklich. Obwohl er schon seit Tagen abgespannt war, hatte er die Benommenheit und das Frösteln zunächst damit zu erklären versucht, daß er irgend etwas Falsches gegessen habe. Als am Vormittag Wellen von Übelkeit eingesetzt hatten, hatte er das einfach dem vielen Kaffee zugeschrieben. Und als er am Nachmittag Kopfschmerzen und Durchfall bekommen hatte, war die Suppe schuld gewesen, die er in der Krankenhauscafeteria zu Mittag gegessen hatte.
Erst als er sein ausgemergeltes Spiegelbild im Umkleideraum sah, gestand Jeffrey sich schließlich ein, daß er krank war. Vermutlich hatte ihn die Grippe erwischt, die seit einem Monat in der Klinik umging. Er legte das Handgelenk an die Stirn, um zu sehen, ob er Temperatur hatte. Kein Zweifel, er war heiß.
Jeffrey wandte sich ab und ging zu seinem Spind, dankbar dafür, daß der Tag fast zu Ende war. Der Gedanke an sein Bett war die ansprechendste Vision, die er heraufbeschwören konnte.
Jeffrey setzte sich auf die Bank, ohne den schnatternden Trubel zu beachten, und begann, an seinem Kombinationsschloß zu drehen. Er fühlte sich jetzt noch schlechter. Sein Magen knurrte, und seine Eingeweide litten Höllenqualen. Ein vorübergehender Krampf trieb ihm Schweißperlen auf die Stirn. Wenn ihn niemand vertreten konnte, mußte er noch ein paar Stunden im Dienst bleiben.
Als er die letzte Ziffer eingestellt hatte, öffnete Jeffrey seine Spindtür. Er langte in den säuberlich aufgeräumten Innenraum und holte eine Flasche Paregoricum heraus, ein altes Heilmittel, das seine Mutter ihm als Kind aufgezwungen hatte. Seine Mutter hatte bei ihm ständig Verstopfung oder Durchfall diagnostiziert. Erst auf der High-School war Jeffrey klargeworden, daß diese Diagnosen lediglich ein Vorwand gewesen waren, um ihn dazu zu bringen, das geliebte Allheilmittel seiner Mutter einzunehmen. Im Laufe der Jahre hatte Jeffrey großes Zutrauen in Paregoricum entwickelt, wenn auch nicht in die diagnostischen Fähigkeiten seiner Mutter. Er hatte stets eine Flasche griffbereit.
Er schraubte den Deckel ab, legte den Kopf in den Nacken und nahm einen kräftigen Schluck. Als er sich den Mund abwischte, sah er, daß ein Krankenpfleger neben ihm saß und jede seiner Bewegungen beobachtete.
»Auch einen Schluck?« Grinsend streckte er dem Mann die Flasche hin. »Toll, das Zeug.«
Der
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