Narrenspiel: Peter Nachtigalls dritter Fall (German Edition)
Begeisterungsfähigkeit seines Vaters hatte. Ständig gab es Streit deswegen. Hoffentlich kam er heute nicht noch vorbei, dachte sie und schämte sich sofort dafür. Eine liebevolle Mutter sollte sich immer freuen, wenn ihr Kind sie besuchte – auch wenn der Ärger nach diesem Spiel schon in der Luft hing. Und eine Diskussion gäbe es auch, wenn Paul nicht da wäre. Schließlich bewies doch dieses Spiel, wie recht der Junge mit seinen Ansichten hatte – und da sie die Mutter war, würde ihr Mann sich eben an ihr austoben. Wie so oft.
Seufzend suchte sie nach einem anderen Sender. Hits aus den Achtzigern, freute sie sich und summte mit. Sie durfte nur nicht vergessen, nachher wieder zurückzuschalten – es musste nicht noch einen Grund für einen Streit geben.
Nach einem besorgten Blick auf die Uhr setzte sie die Kartoffeln auf. Sie war mit den Vorbereitungen fürs Abendessen im Verzug – trotz der Verlängerung. Vielleicht geriet Hans-Jürgen in einen Stau, dann würde es ihm wahrscheinlich nicht einmal auffallen.
Es dämmerte schon, als Peter Nachtigall auf den Hof des Anwesens in Kahren einbog.
Es lag etwas zurückgebaut von der Durchgangsstraße, ruhig und idyllisch. Von hinten sah man sicher nur den Wald, überlegte er, und hier an der Vorderseite verhinderte eine Hecke allzu neugierige Einblicke. Der Hof war mit grobem Kies bestreut, an der linken Grundstücksgrenze standen zwei kleinere LKW.
Das Gebäude war zweigeschossig, blassgelb verputzt mit einem roten Dach. Die verwinkelte Bauweise, die offensichtlich durch immer neue An- und Umbauten entstanden war, ließ es fast verwunschen aussehen. Nachtigall klingelte und stellte dabei fest, dass das Haus in mehrere Wohneinheiten aufgeteilt war.
Hinter der Haustür näherten sich leise Schritte – dann wurde sie einen Spalt breit geöffnet und das verschreckte Gesicht einer kleinen, zarten Frau mit feinen Zügen erschien. Irritiert sah sie ihn an.
»Wenn Sie zu meinem Mann wollen, werden Sie sich gedulden müssen. Er ist noch nicht vom Spiel zurück«, erklärte sie mit müder Stimme, die signalisierte, sie sei es leid, immer überraschende Besucher empfangen zu müssen, nur weil ihr Mann sich verspätete. Mit einer nervösen Geste schob sie die Haare hinters Ohr und nestelte an den Ärmeln ihrer Strickjacke, um sie weiter über die Hände zu ziehen.
»Frau Mehring?« Sie nickte und Nachtigall fuhr fort: »Kriminalpolizei Cottbus, Hauptkommissar Nachtigall. Ich hätte Sie gerne für einen Moment gesprochen. Können wir bitte hineingehen?«
Für einen kurzen Augenblick loderte so etwas wie Panik in ihren Augen auf, dann öffnete sie die Tür und ließ ihn eintreten. Bevor sie die Haustür wieder schloss, warf sie einen hektischen Blick zur Einfahrt, als wolle sie sich vergewissern, dass niemand ihren Besucher gesehen hatte.
»Bitte, dort entlang. Ich komme sofort nach – ich habe Kartoffeln auf dem Herd, die muss ich runterdrehen.«
Damit huschte sie den Flur entlang und verschwand um eine Ecke.
Der Raum, in den sie Nachtigall gebeten hatte, wirkte, als werde er nur sehr selten benutzt. Eine dunkle, klobige Sitzgarnitur, bezogen mit braunem Stoff mit riesigen altrosa-farbenen Pfingstrosen, dominierte. Eine ebenfalls dunkelbraune Schrankwand mit vielen verschlossenen Türen sorgte für eine beklemmende Atmosphäre. Kleine, runde Tischchen aus dunklem Holz standen im Raum verteilt, darauf lagen beigefarbene Häkeldeckchen. Selbst die Landschaftsbilder auf der streng gemusterten Tapete zeigten ausnahmslos düstere Ansichten. Wälder, über denen sich ein Unwetter zusammenbraute, Häuser, die vom heranrückenden Wald überwuchert zu werden drohten, sturmgepeitschte Bäume im Regen – und nirgendwo eine Menschenseele zu entdecken.
Frau Mehring kehrte rasch zurück. Sie hatte die Kittelschürze abgelegt und Nachtigall stellte fest, dass sie noch magerer war, als er es vermutet hatte. Unauffällig tastete er nach seinem Handy. Vielleicht würde er einen Arzt brauchen – oder einen Psychologen.
»Frau Mehring, ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Mann ermordet wurde.«
Die Frau schien ins Stocken zu geraten. Sie verharrte in der Bewegung, ihr distanziertes Lächeln blieb wie erstarrt, nur ihre Augen sahen ihn verständnislos an.
»Nehmen Sie doch bitte Platz. Mein Mann wird sicher gleich kommen. Vielleicht wurde er an der Schranke in Kiekebusch aufgehalten – oder er steht in einem Stau stadtauswärts«, erklärte sie
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