Narrenspiel: Peter Nachtigalls dritter Fall (German Edition)
aufatmen, wenn der letzte Rostockfan die Stadt verlassen hatte. Randale war vorprogrammiert und gehörte bei einem Kick gegen Rostock zum Après-Spiel. Da konnte er weitere Verrückte nicht brauchen, die die Stimmung zusätzlich aufheizten. Nach dem Anpfiff würden die sich hoffentlich wieder verziehen.
Eine halbe Stunde später kochte das Stadion der Freundschaft. ›Energie‹ lag mit einem Tor in Führung und der Schiedsrichter weigerte sich, den zweiten Führungstreffer zu geben. Wüste Beschimpfungen prasselten auf ihn herab. Schrille Pfiffe erfüllten das Stadion, Sprechchöre forderten einen Austausch des Unparteiischen. Dann: Ein Foul, ein Elfmeter für Cottbus, ein kraftvoller Schuss – das zweite Tor.
Der Jubel bei den Cottbuser Fans war grenzenlos – die Empörung bei den Rostockern umso größer. Toilettenpapierrollen wurden aufs Spielfeld geworfen, ein ohrenbetäubender Lärm erfüllte den gesamten Platz. Das Pfeifen nahm zu, die Trommel setzte zu einem ekstatischen Wirbel an, gelbe und rote Rauchschwaden stiegen auf, die Massen wirkten mit einem Mal bedrohlich, eine Eskalation bahnte sich an. Die Kameras behielten die Fans im Fokus.
Ein Rostocker Fan hatte es geschafft, die Absperrungen zu überwinden und rannte nun, mit einer Faust drohend, über das Spielfeld auf den Schiedsrichter zu. Wachpersonal und Stadionordner stürmten hinter ihm her, versuchten ihn aufzuhalten und zu überwältigen. Doch dem Fan gelang es, einen der Verfolger mit einem gewaltigen Fausthieb niederzustrecken, sich aufzurappeln und weiterzulaufen. Voller Entsetzen entdeckte der Einsatzleiter nun auf der Cottbuser Seite einige Fans, die ebenfalls dabei waren den Absperrzaun zu überwinden. Oh Mann, dachte er, das darf doch nicht wahr sein!
Er gab über Funk Anweisungen und einige Einsatzgruppen der Polizei setzten sich in Bewegung. Dann geschahen gleich mehrere Dinge auf einmal: Der Rostocker erreichte den Schiedsrichter, der sich in einem Streitgespräch mit Spielern von Hansa Rostock befand, und warf sich entschlossen auf ihn. Von einem der Ränge flog ein brennendes Päckchen auf den Rasen und ließ zischend und pfeifend ein Feuerwerk aufsteigen. Im Cottbuser Fanblock loderten Flammen. Dicke Rauchschwaden ließen nur noch erahnen, was sich dort abspielte.
»Scheiße!«, brüllte Hannemann. »Mit den Kameras draufhalten! Ich will wissen, welcher Blödmann dafür verantwortlich ist! Ein Trupp rein! Feuer löschen, Personalien feststellen, am besten nehmt ihr gleich einige fest und führt sie in Handschellen ab! Und jetzt haltet doch den Spinner da unten auf! Festnehmen! So schwer kann das doch nicht sein! Verdammt noch mal!«, seine Stimme überschlug sich vor Wut und im Geiste sah er schon die reißerischen Schlagzeilen der morgigen Presse vor sich.
»Ist dem Schieri was passiert?«, fragte er dann besorgt bei seinen Leuten auf dem Spielfeld nach.
»Nein – ist halb so wild. Er blutet ein bisschen aus der Nase und wird behandelt werden müssen. Und das Spiel ist natürlich unterbrochen.«
Was für ein Chaos.
Norbert Hannemann überprüfte die Kamerabilder. Das Feuer war wohl gelöscht, im Fanblock glaubte er, im Rauch seine Beamten zu erkennen, die sich darum bemühten, die Situation zu entschärfen. Das Feuerwerk auf dem Platz war abgebrannt und der Schiedsrichter nirgends zu sehen.
»Habt ihr den Schläger?«
»Ja. Gut verschnürt.«
»Wie heißt der Kerl?«
»Er hat keine Papiere dabei und er ist nicht bereit, seinen Namen zu nennen. Wir nehmen ihn mit.«
»Und dann das ganze Programm! Fingerabdrücke, Fotos, Protokoll, Zelle! Ich will nachher noch mit ihm sprechen!«, wies der Einsatzleiter wütend an.
»Wir veranlassen das. Wird das Spiel fortgesetzt?«
»Keine Ahnung. Der Schieri ist jedenfalls nicht zu sehen – und ohne ihn geht’s ja wohl nicht. Mal sehen, wie er entscheidet. Der Typ hat ihm einen Schlag auf die Nase versetzt, er blutet. Jedenfalls haben wir genug brauchbare Bilder, um den Typen dingfest zu machen!«
Nach einer Unterbrechung von 15 Minuten wurde das Spiel erneut angepfiffen. Der Schiedsrichter begründete seine Entscheidung damit, dass man derart aufgeheizte Fans nicht einfach so aus dem Stadion schicken könne. Die Randale würde sich nur in die Straßen der Stadt verlagern. Seine Nase war dick angeschwollen und verfärbte sich im Lauf des Spiels immer dunkler, während er selbst immer blasser zu werden schien. Doch er weigerte sich rigoros, einen Ersatz anzufordern, weil
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