Narrenturm - Roman
wie der heilige Sebastian auf den Bildern. Jenem hat man schon an den Augen angesehen, dass er ein Lotterbube war.« Der Steuereinnehmer nickte eifrig mit dem Kopf. »So erzähle ich also, und erzähle, da brüllt Herr Seidlitz los! Dass er diese Lumpen kennt, dass er von ihnen gehört hat, dass sein Verwandter, Herr Guncelin von Laasan, sie auch jagt, den Krummnasigen und den jungen Strolch, eines Überfalles wegen, den sie in Striegau verübt haben. Wiesich doch manchmal die Schicksale ineinander verflechten, seht Ihr . . . Wundert Ihr Euch? Wartet nur, es kommt noch besser, da werdet Ihr erst staunen. Ich will gerade Münsterberg verlassen, als mir ein Knecht meldet, dass jemand um den Wagen herumstreicht. Ich pirsche mich heran, und was sehe ich? Jenen Krummnasigen und jenen riesigen Dummerling! Merkt Ihr’s? Was für gerissene Lumpen!«
Der Steuereinnehmer verschluckte sich vor Entrüstung. Reynevan nickte und räusperte sich.
»Da bin ich, so schnell ich konnte, zum Rathaus geflitzt«, fuhr der Steuereinnehmer fort, »habe dort Bescheid gegeben und Anzeige erstattet. Bestimmt haben sie sie dort schon gefangen, bestimmt flicht der Kerkermeister sie grade im Loch aufs Rad. Wisst Ihr, worum es hier geht? Die beiden Lumpen haben zusammen mit dem dritten, dem jungen Strolch, für die Raubritter spioniert und der Bande geraten, wen sie überfallen sollen. Ich hatte Angst, dass sie mir irgendwo auf der Straße auflauern. Und meine Eskorte ist, wie Ihr seht, mehr als bescheiden! Die ganze Münsterberger Ritterschaft zieht Turniere, Festmahle, Spiele und Tänze vor, pfui Teufel! Ich hatte also Angst, denn mein Leben ist mir lieb, und ich würde es sehr bedauern, wenn die fünfhundert und mehr Gulden in die Hände von Räubern fallen sollten . . . Schließlich sind sie für einen heiligen Zweck bestimmt.«
»Gewiss bedauert man das«, warf der Goliarde ein. »Und sicher ist das ein heiliger Zweck. Ja, ein heiliger und ein guter noch dazu, das geht nicht immer miteinander einher, he he. Daher habe ich dem Herrn Steuereinnehmer geraten, die Hauptstraßen zu meiden und still und leise durch die Wälder, eins, zwei, nach Wartha zu fahren.«
»Möge Gott uns in seine Obhut nehmen«, der Steuereinnehmer hob die Augen zum Himmel.
»Und die Schutzpatrone der Steuereinnehmer, der heilige Adauctus und der heilige Matthäus. Und die Gottesmutter von Wartha, die wegen ihrer Wundertaten berühmt ist.«
»Amen, amen!«, riefen die neben dem Wagen einherziehenden Pilger mit den Wanderstäben. »Gelobt sei die Heilige Jungfrau, unsere Beschützerin und Fürsprecherin!«
»Amen!«, riefen die auf der anderen Seite des Wagens wandernden Minderbrüder im Chor.
»Amen!«, versetzte von Stietencron, und das hässliche Ding bekreuzigte sich.
»Amen«, schloss der Steuereinnehmer. »Ich sage Euch, Herr Hagenau, Wartha ist ein heiliger Ort, den die Gottesmutter liebt. Wisst Ihr, dass sie wieder auf dem Warthenberg erschienen ist? Und wieder weinend, wie damals, im Jahre 1400. Die einen sagen, dies kündigt ein Unglück an, das in Kürze über Wartha und ganz Schlesien hereinbrechen wird. Andere sagen, die Gottesmutter weint, weil der Glaube verfällt und das Schisma sich ausbreitet. Die Hussiten . . .«
»Überall seht Ihr nur Hussiten, überall wittert Ihr Häresie. Glaubt Ihr nicht, dass die Allerheiligste Jungfrau auch aus ganz anderen Gründen weinen kann? Vielleicht fließen ihre Tränen, weil sie auf die Priester und auf Rom blickt? Weil sie Ämterkauf, schändliche Wollust und Raub sieht? Und schließlich Apostasie und Häresie, denn was ist es denn, wenn den Geboten der Evangelien zuwidergehandelt wird, wenn nicht Häresie? Vielleicht weint die Gottesmutter, weil sie sieht, wie die heiligen Sakramente zu Lug und Trug, zu Gaukelspiel werden, weil sie ein Kaplan erteilt, der in Sünde lebt? Vielleicht erzürnt und betrübt sie das, was so viele betrübt und erzürnt? Warum baut der Papst, der reicher ist als die Magnaten, die Kirche Petri nicht mit seinem eigenen Geld, sondern mit dem der armen Gläubigen?«
»Ihr solltet besser schweigen . . .«
»Vielleicht weint die Gottesmutter«, der Goliarde ließ sich den Mund nicht verbieten, »weil sie sieht, dass die Priester, anstatt zu beten und ein frommes Leben zu führen, auf Krieg, in die Politik und zur Macht drängen? Wie sie herrschen? Zu ihrem Treiben passt das Wort des Propheten Jesaja trefflich:Wehe denen, die unrechte Gesetze machen und unrechtes Urteil schreiben, um
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