Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
Reynevan, sich vergewissernd,dass niemand zuhörte, vor allem nicht der auf dem schwarzen Fuhrwerk sitzende Steuereinnehmer, »ich weiß, Herr . . . Tybald Raabe. Wenn ich aber etwas nicht weiß . . .«
    »Dann muss das wohl so sein.« Der Goliarde schnitt ihm das Wort ab. »Stellt keine überflüssigen Fragen, Junker Reinmar. Und bleibt ein Hagenau. Werdet kein Bielau. So ist es sicherer.«
    »Du warst in Münsterberg«, erriet Reynevan.
    »Das war ich. Und ich habe dieses und jenes gehört . . . Genug, um sehr erstaunt zu sein, als ich Euch hier erblickt habe, in den Gallenauer Wäldern. Denn es ging das Gerücht, dass Ihr im Turm sitzt. Oh, was für Sünden man Euch zugeschrieben hat . . . Wie geredet wurde . . . Wenn ich Euch nicht kennen würde . . .«
    »Doch du kennst mich wohl.«
    »Ich kenne Euch. Und ich meine es gut mit Euch. Deshalb sage ich: Zieht mit uns. Nach Wartha . . . Und schaut sie nicht dauernd so an, Junker. Ist es nicht genug, dass Ihr sie durch den Wald verfolgt habt?«
    Als sich das an der Spitze des Zuges reitende Fräulein zum ersten Mal umwandte, seufzte Reynevan vor Erleichterung auf. Und vor Verwunderung. Wie hatte er dieses garstige Ding nur mit Nicoletta, mit Katharina Biberstein, verwechseln können?
    Sie hatte zwar fast die gleiche Haarfarbe, strohblond, was in Schlesien wegen der Vermischung des Blutes hellblonder Väter von der Elbe mit dem hellblonder Mütter von Warthe und Prosna häufig vorkam. Aber damit hatte die Ähnlichkeit auch schon ein Ende. Nicoletta hatte eine Haut wie Alabaster, Stirn und Kinn des Mädchens hingegen bedeckten Pusteln. Nicoletta hatte kornblumenblaue Augen, die des unter starker Akne leidenden Mädchens waren farblos und wässrig, traten froschähnlich hervor, was man ihrer Furchtsamkeit zuschreiben konnte. Die Nase war zu klein und aufgestülpt, die Lippen zu schmal und zu blass. Anscheinend hatte sie mal was von Mode gehört und sich die Augenbrauen gezupft, aber mit mäßigemErfolg   – statt modisch sah sie einfach nur dumm aus. Diesen Eindruck verstärkte noch die Kleidung. Sie trug eine gewöhnliche Hasenfellmütze und unter dem Umhang ein graues Kleid, einfach geschnitten und aus schlechter, rauher Wolle. Katharina Biberstein würde selbst ihre Mägde in bessere Kleider stecken.
    Ein hässliches Wesen, dachte Reynevan, ein armes, hässliches Ding. Ihr fehlen nur noch Pockennarben. Aber sie hat ja noch alles vor sich.
    Der Seite an Seite mit dem Mädchen reitende Ritter hatte, das war kaum zu übersehen, die Pocken schon überstanden, deren Spuren auch der kurze, grau melierte Bart nicht verdecken konnte. Das Zaumzeug des Braunen, den er ritt, war schon ziemlich abgewetzt, und das Kettenhemd, das er trug, schon seit der Schlacht bei Liegnitz aus der Mode. Ein armer Ritter, dachte Reynevan, wie es viele gibt. Ein kleinadeliger
vassus vassallorum.
Er bringt seine Tochter ins Kloster. Wohin auch sonst? Wer will schon so eine? Höchstens die Klarissen oder die Zisterzienserinnen.
    »Hört auf, sie so anzustarren«, zischte der Goliarde, »das schickt sich nicht.«
    Es schickte sich wirklich nicht. Reynevan seufzte, wandte den Blick ab und konzentrierte sich auf die Eichen und Hainbuchen am Wegrand. Aber es war schon zu spät.
    Der Goliarde fluchte leise. Der Ritter mit dem Kettenhemd hielt sein Pferd an und wartete, bis sie herangekommen waren. Er machte eine sehr ernste und sehr düstere Miene, hob stolz den Kopf und stemmte den Arm in die Hüfte, seine Hand lag genau neben dem Heft des Schwertes, das ebenso altmodisch war wie das Kettenhemd.
    »Der edle Herr Hartwig von Stietencron.« Tybald Raabe stellte ihn, sich räuspernd, vor. »Herr Reinmar von Hagenau.«
    Der edle Hartwig von Stietencron blickte Reynevan längere Zeit unverwandt an, erkundigte sich jedoch erstaunlicherweise nicht nach der Verwandtschaft mit dem berühmten Poeten.
    »Ihr habt meine Tochter erschreckt, mein Herr«, sagte er dann hochmütig, »indem Ihr sie verfolgt habt.«
    »Ich bitte um Vergebung.« Reynevan verneigte sich und spürte, wie sich seine Wangen röteten. »Ich bin ihr nachgeritten, weil . . . Es war ein Irrtum. Ich bitte Euch um Vergebung. Und sie auch, wenn Ihr gestattet, ich knie nieder . . .«
    »Kniet nicht«, unterbrach ihn der Ritter. »Beachtet sie nicht. Sie ist ängstlich und schüchtern. Aber ein gutes Kind. Ich bringe sie nach Wartha . . .«
    »Ins Kloster?«
    »Warum vermutet Ihr das?« Der Ritter runzelte die Stirn.
    »Ihr macht einen sehr frommen

Weitere Kostenlose Bücher