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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Dei
?«, rief einer der Pilger und bewies damit seine Belesenheit, was verwunderte, denn die Farbe seiner Nase zeugte von ganz anderen Neigungen. »Dort ist die Rede vom gerechten Krieg. Was kann gerechter sein als der Kampf gegen Heidentum und Häresie? Ist ein solcher Krieg Gott nicht wohlgefällig? Ist es Ihm nicht wohlgefällig, wenn jemand seine Feinde erschlägt?«
    »Und Johannes Chrysostomos und Isidor von Sevilla, was schreiben sie?«, rief der zweite Bücherwurm mit ebensolch einer blauroten Nase. »Und der heilige Bernhard von Clairvaux? Er fordert dazu auf, die Ketzer, die Mauren und die Gottlosen zu töten! Unreine Schweine nennt er sie. Sie zu töten, schreibt er, ist keine Sünde! Das geschieht zum Ruhme Gottes!«
    »Wer bin ich denn, Gott sei mir gnädig«, der Franziskaner faltete die Hände, »dass ich den Heiligen und den Kirchengelehrten widersprechen möchte. Ich stehe hier nicht zur Diskussion. Ich wiederhole lediglich die Worte, die Christus auf dem Ölberg sprach. Er hat uns befohlen, unseren Nächsten zu lieben. Denen zu vergeben, die an uns schuldig geworden sind. Seine Feinde zu lieben und für sie zu beten.«
    »Paulus hat die Epheser angewiesen«, warf der zweite Mönch ebenso leise ein, »sich gegen den Satan mit Liebe und Glauben zu wappnen. Nicht mit Speeren.«
    »Gebe Gott«, der dritte Franziskaner bekreuzigte sich, »dass Liebe und Glauben den Sieg davontragen. Dass Einvernehmen und
pax Dei
unter den Christen herrschen. Denn schaut, wer hat den Nutzen, wenn wir uns nicht einig sind? Die Muselmanen! Wir streiten uns heute mit den Böhmen um das WortGottes, um die Art der Kommunion, und was könnte schon morgen sein? Mohammed und der Halbmond auf den Kirchen!«
    »Was soll’s«, lachte der älteste Pilger, »vielleicht gehen auch den Böhmen die Augen auf, und sie schwören der Ketzerei ab. Vielleicht hilft ihnen ja der Hunger dabei! Denn in ganz Europa ist mittlerweile der Handel und die Geschäfte mit den Hussiten verboten. Aber sie brauchen Waffen und Schießpulver, Salz und Lebensmittel! Wenn sie das nicht kriegen, können sie nicht schießen und sind hungrig. Wenn erst der Hunger in den Gedärmen wühlt, werden sie sich ergeben, ihr werdet schon sehen.«
    »Der Krieg ist das Böse«, wiederholte der erste Franziskaner eindringlich. »Das haben wir doch schon festgestellt. Und wie erscheint euch jenes Handelsverbot im Lichte der Lehre Christi? Hat Jesus auf dem Ölberg befohlen, unseren Nächsten hungern zu lassen? Einen Christen? Sieht man einmal von den religiösen Differenzen ab, sind die Böhmen Christen wie wir. Da schickt sich ein solches Verbot nicht.«
    »Ihr habt Recht, Brüder«, warf Tybald Raabe ein, der am Stamm der Eiche lehnte. »Das ist unwürdig. Und ich sage euch noch eins, solche Handelsverbote sind zuweilen ein zweischneidiges Schwert. Möge es uns nur nicht ins Unglück führen, wie die Lausitzer. Möge es Schlesien nicht so teuer bezahlen wie die Oberlausitz den Heringskrieg im letzten Jahr.«
    »Den Heringskrieg?«
    »So hat man ihn genannt«, erklärte der Goliarde gelassen, »denn es ging auch um eine Handelsblockade und um Heringe. Wenn ihr wollt, erzähle ich euch davon.«
    »Das wollen wir, lass hören!«
    »Also«, Tybald Raabe streckte sich, erfreut über das Interesse, »das war so: Herr Hynek Boczek von Kunsztat, ein böhmischer Adeliger, ein Hussit, war ein Liebhaber von Heringen. Kaum etwas aß er so gern wie baltische Matjesheringe, besonders zum Bier, zum Schnaps oder in der Fastenzeit. Aberder Oberlausitzer Ritter Heinrich von Dohna, der Herr auf Grafenstein, kannte den Appetit des Herrn Boczek. Da sich der Reichstag gerade über ein Handelsverbot beriet, beschloss Herr Heinrich, die Gespräche zur Tat werden zu lassen und den Hussiten eigenhändig in Bedrängnis zu bringen. Und so blockierte er ihm die Heringslieferungen. Herr Boczek wurde böse, verlegte sich aufs Bitten, denn Religion sei eine Sache, Heringe aber eine ganz andere! Streite dich mit mir um die Doktrin und die Liturgie, du Papist, aber lass mir meine Heringe, weil ich sie mag! Worauf Herr Dohna ihm entgegnete: Die Heringe lass ich nicht zu dir durch, du Häretiker, friss Speck, Boczek, meinetwegen auch am Freitag. Und das brachte das Fass zum Überlaufen! Der erzürnte Herr Hynek Boczek trommelte seine Truppe zusammen, fiel in Lausitzer Gebiet ein, Feuer und Schwert mit sich tragend. Als Erstes ging Schloss Karlsfried in Flammen auf, der Zollgrenzpunkt, an dem die

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