Narrenturm - Roman
Erbsberg. Ganz in der Nähe von Frankenstein.«
An den Berghängen brannten Feuer, hinter den Bäumen stieg eine gelbe, harzige Flamme empor, rote Glut erhellte den an den Kesseln entlangziehenden magischen Dunst. Man hörte Rufe und Gesänge, Flöten und Schalmeien, das Rasseln des Tamburins.
Nicoletta neben ihm erzitterte, und das wohl nicht nur vor Kälte. Er wunderte sich nicht darüber. Auch ihm jagten Schauer über den Rücken, und das Herz schlug ihm bis zum Hals, kaum dass er zu schlucken vermochte.
Neben ihm landete ein glutäugiges Wesen mit zerzausten möhrenfarbenen Haaren und stieg vom Besen. Ihre dünnen Klauen waren mit sechs Zoll langen gekrümmten Nägeln versehen. Nicht weit davon entfernt lärmten und schrien vier Gnome durcheinander, die eichelförmige Mützen trugen. Alle vier, schien’s, waren auf einem großen Ruder gekommen. Auf der anderen Seite schlurfte, eine lange Bäckerschaufel hinter sich herziehend, ein Geschöpf heran, das einen Mantel mit nach außen gewendetem Pelz zu tragen schien, es konnte aber auch ein natürliches Fell sein. Eine Hexe ging in einem schneeweißen und mehr als herausfordernd aufgeknöpften Hemd vorbei und warf ihnen geringschätzige Blicke zu.
Anfangs, noch während des Fluges, hatte Reynevan geplant, sofort zu fliehen, er hatte sich vorgestellt, unmittelbar nach der Landung so schnell wie möglich aufzubrechen, den Berg hinunterzusteigen und zu verschwinden. Es glückte nicht. Sie waren mitten in einer Gruppe gelandet, mitten in einer Schar, und diese riss sie mit sich wie die Strömung. Jede falsche Bewegung, jeder Schritt in eine andere Richtung musste auffallen, man würde sie bemerken und würde Argwohn schöpfen. Er hielt es für besser, keinen Argwohn zu erregen.
»Aucassin«, Nicoletta schmiegte sich an ihn, sie spürte wohl genau, was er dachte, »kennst du das Sprichwort: vom Regen in die Traufe?«
»Hab keine Angst«, er überwand den Widerstand in seiner Kehle, »hab keine Angst, Nicoletta. Ich werde nicht zulassen,dass dir etwas Böses geschieht. Ich bringe dich von hier fort. Und ich verlasse dich bestimmt nicht.«
»Ich weiß«, erwiderte sie sogleich, und sie sagte es so vertrauensvoll, mit solch einer Wärme, dass er auf der Stelle seinen Mut und sein Selbstvertrauen wiederfand, Eigenschaften, die er, ehrlich gesagt, noch vor kurzem beinahe verloren hätte. Wagemutig hob er den Kopf und bot dem Mädchen ritterlich seinen Arm. Und er blickte umher. Zuversichtlich, ja, sogar aufmüpfig.
Eine nach nasser Baumrinde riechende Hexe überholte sie, ein Zwerg, dessen Zähne unter der Oberlippe hervorragten, ging vorüber und grüßte, sein unter dem viel zu kurzen Hemdchen hervorblitzender nackter Bauch glänzte wie eine Melone. Etwas Ähnliches hatte Reynevan schon gesehen. Auf dem Friedhof von Wammelwitz, in der Nacht nach Peterlins Begräbnis.
Auf dem sanften Abhang vor dem Abgrund landeten die nächsten, immer mehr fliegendes Volk kam, langsam wurde es voll. Zum Glück hatten die Organisatoren für Ordnung gesorgt, Bedienstete wiesen die Ankommenden zu einer Lichtung, wo in einem abgesteckten Geviert die Besen und anderes Fluggerät deponiert wurden. Man musste dort ein wenig in der Reihe stehend warten. Nicoletta schmiegte sich enger an seine Schulter, als sich hinter ihnen ein dürres Wesen, in ein Leichentuch gehüllt und den Geruch nach Sarg verbreitend, einreihte.
Vor ihnen standen hingegen zwei ungeduldige und nervös trippelnde Roggenmuhmen, die Haare voll trockener Ähren.
Kurz darauf nahm ein dicker Kobold Reynevan die Bank ab und händigte ihm die Quittung aus – eine Teichmuschel mit aufgemaltem, magischem Ideogramm und der römischen Zahl CLXXIII.
»Darauf aufpassen«, brummte er, wie er es gewohnt war, »ja nicht verlieren. Ich kann später nicht den ganzen Parkplatz absuchen.«
Nicoletta schmiegte sich noch fester an ihn und drückteseine Hand. Diesmal aus einem ganz bestimmten und nicht zu übersehenden Grund.
Sie waren nämlich zum Mittelpunkt des Interesses geworden, und noch dazu eines keineswegs freundlichen. Einige Hexen musterten sie mit bösen Blicken. Neben einer jeden von ihnen wäre Formosa von Krossig als jung und fabelhaft schön durchgegangen.
»Na bitte, bitte«, krächzte eine von ihnen, die sich sogar vor einem solch scheußlichen Hintergrund durch ihre Hässlichkeit abhob. »Es muss wohl wahr sein, was sie erzählen! Dass man jetzt Flugsalbe in jeder Schweidnitzer Apotheke kaufen kann! Jetzt
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