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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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seid ihr
joiosa
und
bachelor.
«
    Die Bittstellerin vor ihnen war ein junges Mädchen mit einem dicken blonden Zopf, der ihm bis über den Rücken hinabhing. Obwohl sie sehr schön war, hatte sie ein Gebrechen   – sie hinkte. Auf so unverkennbare Weise, dass Reynevan eine angeborene Hüftgelenkluxation diagnostizieren konnte. Sie ging an ihnen vorbei und wischte sich die Tränen ab.
    »Es ist unhöflich, jemanden anzustarren, und das wird hier nicht gern gesehen.« Die Rothaarige wies Reynevan zurecht. »Weiter! Die Domina wartet.«
    Reynevan wusste, dass der Titel Domina   – oder Herrin   – der wichtigsten Hexe, der Anführerin des Hexenfluges und Priesterin des Sabbats, vorbehalten war. Obwohl er insgeheimhoffte, ein Weib zu sehen, das nicht ganz so abstoßend war wie Frau Sprenger, Frau Kramer und die anderen scheußlichen Weiber in ihrer Begleitung, erwartete er doch eher eine Person im   – gelinde gesagt   – fortgeschrittenen Alter. Was er nicht erwartet hatte, war eine Medea. Eine Kirke. Eine Herodias. Umwerfend attraktiv, die Verkörperung reifer Weiblichkeit.
    Sie war groß und stattlich, ihr Körperbau war ein Ausdruck von Autorität, deutete auf innere Kraft hin. Die hohe Stirn über den gleichmäßigen Brauen zierte eine silberne Sichel, ein Halbmond von schimmerndem Glanz, an ihrem Hals hing das goldene Kreuz Ankh, die
crux ansata.
Die Linien ihres Mundes drückten Entschiedenheit aus, die gerade Nase gemahnte an Hera oder Persephone aus der griechischen Mythologie. Die pechschwarzen Haare ringelten sich um ihren Kopf, fielen in göttlichem Gewirr in ihren Nacken, ergossen sich über die Schultern und gingen über in das Schwarz ihres Mantels. Das Kleid, das unter dem Mantel hervorlugte, wechselte seine Farbe mit dem Feuerschein, leuchtete in zahlreichen Schattierungen, bald schien es weiß, bald kupferfarben, bald purpurrot.
    In den Augen der Domina standen Weisheit, Nacht und Tod.
    Sie erkannte ihn sofort.
    »Toledo«, sagte sie, und ihre Stimme war wie der Wind, der vom Berg herabweht. »Toledo und seine edle
joiosa.
Zum ersten Mal bei uns? Willkommen.«
    »Sei gegrüßt.« Reynevan verbeugte sich, Nicoletta knickste. »Sei gegrüßt, Domna.«
    »Habt ihr eine Bitte an mich? Bittet ihr die Instanz?«
    »Sie wollen nur ihre Reverenz erweisen«, antwortete die Rothaarige, die hinter ihnen stand. »Dir, Domna, und der großen Dreifaltigkeit.«
    »Ich nehme sie entgegen. Geht in Frieden. Feiert Mabon. Preist den Namen der großen Mutter.«
    »
Magna Mater!
Ruhm sei ihr!«, wiederholte, neben der Domina stehend, der Bärtige mit dem Hirschgeweih und dem Fell, das ihm über den Rücken herunterhing.
    »Ruhm sei ihr!«, wiederholten die drei Hexen, die hinter ihm standen, und hoben die Besen und Sicheln empor. »Heia!«
    Das Feuer loderte auf. Der Kessel dampfte.
     
    Als sie den Hang zu dem Bergsattel zwischen den beiden Gipfeln hinuntergingen, war Jagna nicht mehr aufzuhalten, sofort lenkte sie ihre langen Schritte dorthin, wo der größte Lärm tobte und es am kräftigsten nach destillierten Getränken roch. Kurz darauf war sie zu einem Bottich vorgedrungen und schlürfte Cidre, dass ihre Gurgel hüpfte. Die Rothaarige hielt sie nicht davon ab, sondern griff selbst gern nach dem Krug, den ihr ein Zottelbär mit großen Ohren reichte, der jenem Hans Mein Igel, der vor einem Monat Reynevan und Zawisza den Schwarzen von Garbowo in ihrem Biwak besucht hatte, glich wie ein Zwilling dem anderen. Reynevan nahm den Becher und dachte darüber nach, wie die Zeit verging und was sich seither in seinem Leben verändert hatte. Der Cidre war so stark, dass einem die Nase lief.
    Die Rothaarige hatte unter den Zechgenossen viele Bekannte, sowohl unter den Menschen als auch unter den anderen Wesen, entdeckt. Überschwenglich wurde sie von Roggenmuhmen, Dryaden, Lisen und Wassernixen begrüßt, dicke, rotbäckige Landfrauen umarmten und küssten sie. Steif und distingiert verneigten sich Frauen in goldgestickten Kleidern und teuren Mänteln vor ihr, deren Gesichter teilweise hinter Masken aus schwarzem Atlas verborgen waren. Cidre, Birnenwasser und Slibowitz flossen in Strömen. Es wurde gedrängelt und geschoben, Reynevan umfasste Nicoletta. Sie sollte eine Maske tragen, dachte er. Katharina, die Tochter des Johann Biberstein, des Herrn auf Stolz, sollte maskiert sein. Wie die anderen Edelfrauen.
    Die Zechgenossinnen setzten natürlich jede Menge Gerüchte in Umlauf und tratschten.
    »Ich habe sie oben bei

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