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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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wahr.«
    Circulos schwieg ein Weilchen.
    »Ich würde nicht damit rechnen, sagte er schließlich mit grausamer Offenheit. Warum sollte ein Dämon sich darin von den Menschen unterscheiden?«
     
    Das war ihr letztes Gespräch. Ob es Circulos gelungen war, das im Hintern hereingeschmuggelte Amulett zu aktivieren und den Dämon Mersilde zu rufen, blieb ein Rätsel, und ein solches sollte es auch für immer bleiben. Aus der Teleportation war zweifellos nichts geworden. Circulos hatte sich nicht ins Universum versetzt. Er war weiterhin im Turm. Er lag auf seinem Lager auf dem Rücken, starr ausgestreckt, beide Hände auf die Brust gepresst, die Finger in sein Gewand gekrampft.
    »Allerheiligste Jungfrau . . .«, stöhnte der Institor. »Bedeckt sein Gesicht . . .«
    Scharley verhüllte mit einem Stofffetzen das zur gespenstischen Maske erstarrte Gesicht, deformiert durch Schrecken und Schmerz. Den schiefen, mit getrocknetem Schaum bedeckten Mund. Die gebleckten Zähne und die trüben, glasig hervorquellenden Augen.
    »Ruft Bruder Tranquilus.«
    »Christe . . .«, stöhnte Koppirnig. »Seht doch nur . . .«
    Nicht weit vom Lager des Toten entfernt lag die Ratte Martin, mit dem Bauch nach oben. Qualvoll verrenkt, mit entblößten gelben Zähnen.
     
    »Der Teufel hat ihm den Hals umgedreht«, urteilte Bonaventura mit Kennermiene, »und hat seine Seele in die Hölle geholt.«
    »Zweifellos«, stimmte der Institor zu. »Er hat Teufelszeug an die Wände gemalt, und das hat er nun davon. Das weiß doch jeder Dummkopf: Hexagramme, Pentagramme, Tierkreiszeichen, Kabbala, Sephirot und andere Teufels- und Judensymbole. Der alte Hexer hat den Teufel gerufen. Zu seinem eigenen Verderben.«
    »Pfui, pfui, unreiner Geist . . . All diese Malereien muss man tilgen. Mit Weihwasser begießen. Eine Messe lesen, bevor sich das Böse auch unserer bemächtigt. Ruft die Mönche . . .«
    »Worüber lacht Ihr, Scharley, darf man das wissen?«
    »Ratet mal.«
    »In der Tat«, Urban Horn gähnte, »es ist lachhaft, was ihr daherschwatzt. Und auch Eure Aufregung. Worüber soll man sich hier denn aufregen? Der alte Circulos ist gestorben, er hat den Schwanz fahren lassen, die Füße von sich gestreckt, sich von der Welt verabschiedet und ist auf die asphodelischen Wiesen gewandert. Möge ihm die Erde leicht werden, und ihm die
lux perpetua
leuchten. Und damit
finis,
ich verkünde hiermit das Ende der Trauerzeit. Und der Teufel? Zum Teufel mit dem Teufel!«
    »O Herr Mummolinus«, Thomas Alpha schüttelte den Kopf, »scherzt nicht über den Teufel. Denn hier sieht man sein Werk. Wer weiß, vielleicht streicht er noch hier herum, in der Dunkelheit verborgen. Über diesem Ort des Todes erheben sich höllische Dämpfe. Spürt Ihr das nicht? Was ist das, Eurer Meinung nach, wenn nicht Schwefel? He? Was stinkt hier so?«
    »Eure Hosen.«
    »Wenn es der Teufel nicht war«, Bonaventura plusterte sich auf, »was hat ihn dann eurer Meinung nach umgebracht?«
    »Das Herz«, antwortete Reynevan, war sich dessen aber nicht ganz sicher. »Ich habe solche Fälle studiert. Das Herz ist ihm zersprungen. Eine
plethora
ist eingetreten. Das mit dem Pneuma transportierte Übermaß an Galle hat einen Tumor hervorgerufen, es ist zu einer Verstopfung gekommen, einem Infarkt. Es ist ein
spasmus
aufgetreten und hat die
arteria pulmonaris
zerrissen.«
    »Hört ihr?«, spottete Scharley. »Hier hat die Wissenschaft gesprochen.
Sine ira et studio. Causa finita,
alles klar.«
    »Wirklich?«, ließ sich plötzlich Koppirnig vernehmen. »Und die Ratte? Was hat die Ratte getötet?«
    »Der Hering, den sie gefressen hat.«
    Oben klappte die Tür, die Stufen knarrten, ein über die Treppe herunterrollendes Fässchen rumpelte.
    »Gelobt sei . . .! Die Mahlzeit, Brüder! Hurtig, zum Gebet! Und dann her mit den Schüsseln zum Fisch!«
     
    Die Bitte um Weihwasser und darum, eine Messe abhalten und Exorzismen über dem Lager des Toten durchführen zu dürfen, quittierte Bruder Tranquilus mit einem vielsagenden Achselzucken und einem eindeutigen Tippen an die Stirn, was die Diskussionen nach dem Mittagsmahl ungemein belebte. Kühne Thesen und Hypothesen wurden aufgestellt und entworfen. Den gewagtesten zufolge war Bruder Tranquilus selbst ein Häretiker und Teufelsanbeter, denn nur ein solcher könne einem Gläubigen das Weihwasser und geistlichen Beistand verweigern. Ohne im Geringsten darauf zu achten, dass Scharley und Horn bereits Tränen lachten, machten sich Thomas Alpha,

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