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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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»Keine Hufe? Einen Schwanz hatte er auch nicht?«
    »Hatte er nicht.«
    »Ääääääh! Was erzählt Ihr uns denn da!«
     
    Die Diskussion über Teufel, Teufeleien und Teufelswerk zog sich mit unterschiedlicher Intensität bis zum vierundzwanzigsten November hin. Genauer, bis zur Essenszeit. Bis zu der Nachricht, die Bruder Tranquilus, der Meister und Aufseher des Narrenturmes, den Pensionären verkündete.
    »Heute ist ein glücklicher Tag angebrochen, ihr Herren! Es beehrt uns mit seinem lang erwarteten Besuch der Prior der Breslauer Prädikanten, der Visitator des Heiligen Officiums, der
defensor et candor fidei catholicae,
Seine Hochwürden der
inquisitor a Sede Apostolica
unserer Diözese. Einige der hier Anwesenden, glaubt nur nicht, dass ich das nicht weiß, simulieren ein bisschen, sie haben eine andere Krankheit als die, die wir in unserem Turm gewöhnlich heilen. Mit diesen Gesunden und mit ihrer körperlichen Verfassung wird sich jetzt Seine Hochwürden der Inquisitor befassen. Und er wird sie zweifelsfrei heilen! Denn Seine Hochwürden der Inquisitor hat vom Rathaus einige starke Mediziner und verschiedene medizinische Instrumente herbeordert. Bereitet euch also geistig darauf vor, ihr Brüderchen, denn die Kur wird jeden Moment beginnen.«
    Der Hering schmeckte an diesem Tag noch schlechter als sonst. Mehr wurde an diesem Abend im Narrenturm nicht gesprochen. Es herrschte Stille.
     
    Den ganzen nächsten Tag über   – und dieser war ausgerechnet ein Sonntag, der letzte Sonntag vor dem Advent   – herrschte im Narrenturm eine sehr angespannte Atmosphäre. Die Pensionäre bekamen jedes Pochen, jedes Knirschen mit, das von oben, von der Tür her, kam und die nervenaufreibende und zugleich deprimierende Stille durchdrang, und sie begannen schließlich auf diese Geräusche mit Panik und mit Angstzuständen zu reagieren. Nikolaus Koppirnig verkroch sich in eine Ecke. Der Institor begann zu weinen, lag auf dem Stroh zusammengekrümmt wie ein Fötus. Bonaventura saß bewegungslos da und brütete dumpf vor sich hin. Thomas Alpha zitterte, eingegraben im Stroh. Der Kamaldulenser betete still, das Gesicht zur Mauer gewandt.
    »Seht ihr?«, platzte Urban Horn schließlich heraus, »seht ihr, wie das wirkt? Was sie mit uns machen? Seht sie euch nur an!«
    »Wundert dich das?« Scharley kniff die Augen zusammen. »Hand aufs Herz, Horn, sag, dass du dich über sie wunderst.«
    »Ich sehe die Sinnlosigkeit. Das, was hier abläuft, ist das Ergebnis einer gut geplanten, genauestens vorbereiteten Aktion. Die Untersuchung hat noch gar nicht begonnen, noch ist nichts geschehen, aber die Inquisition hat schon den Willen dieser Leute gebrochen, hat sie an den Rand des psychischen Zusammenbruches gebracht, sie in Tiere verwandelt, die sich unter dem Knallen der Peitsche ducken.«
    »Ich wiederhole: Wundert dich das?«
    »Ich wundere mich. Weil man kämpfen muss. Sich nicht ergeben darf. Sich nicht aufgeben darf.«
    Scharley fletschte die Zähne wie ein Wolf.
    »Du zeigst uns, hoffe ich, wie man das macht. Dann, wenn die Zeit gekommen ist. Und gibst uns ein Beispiel.«
    Urban Horn schwieg lange.
    »Ich bin kein Held«, sagte er schließlich. »Ich weiß nicht, wie ich mich verhalte, wenn sie mich strecken, wenn sie die Schrauben festdrehen und Keile eintreiben. Wenn sie das Eisen aus dem Feuer nehmen. Ich weiß es nicht, und ich kann es auch nicht sagen. Aber eins weiß ich: Es hilft mir nicht, wenn ich aus mir einen Jammerlappen mache, heule, Krämpfe kriege oder um Mitleid flehe. Den Brüdern Inquisitoren gegenüber muss man hart bleiben.«
    »Oho!«
    »Genauso. Die haben sich schon viel zu sehr daran gewöhnt, dass die Leute zittern und sich, sobald sie sie nur sehen, vor Angst die Beine vollscheißen. Die allmächtigen Herren über Leben und Tod, sie genießen ihre Macht, der Terror und die Angst, die sie erzeugen, steigt ihnen zu Kopf. Aber wer sind sie denn wirklich? Nulpen, Tölen aus dem Hundezwinger der Dominikaner, halbe Analphabeten, abergläubische Dummköpfe, Perverse und Feiglinge. Ja, ja, schüttle du nicht den Kopf, Scharley, das ist ganz normal bei Satrapen, Tyrannen und Henkern, sie sind Feiglinge, und ihre Feigheit, vereinigt mit ihrer Allmacht, löst in ihnen diese Bestialität aus, und die Unterwürfigkeit der Opfer steigert sie nur noch. So ist es auchbei der Inquisitoren. Unter ihren Schrecken verbreitenden Kapuzen stecken ganz gewöhnliche Feiglinge. Da darf man sich nicht vor ihnen auf den Bauch

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