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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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werfen und um Gnade winseln, denn das führt bei ihnen zu umso größerer Bestialität und Grausamkeit. Man muss ihnen kühn ins Auge blicken! Obwohl das einen vermutlich nicht rettet, aber man kann sie wenigstens erschrecken, ihre angebliche Selbstsicherheit ins Wanken bringen. Man kann sie an Konrad von Marburg erinnern.«
    »Wen?«
    »Konrad von Marburg«, erklärte Horn, »der Inquisitor des Rheinlandes, Thüringens und Hessens. Als er, verlogen, herausfordernd und grausam, wie er war, dem hessischen Adel zusetzte, haben sie ihm eine Falle gestellt und ihn totgeschlagen. Mit seinem ganzen Gefolge. Nicht ein Einziger hat überlebt.« Horn schwieg einen Augenblick. »Und ich sage euch«, fügte er hinzu, während er aufstand und zum Kübel hinüberging, »jeder Inquisitor denkt ständig an diesen Namen und an dieses Ereignis. Beherzigt daher meinen Rat!«
    »Wie denkst du darüber?«, brummte Reynevan.
    »Ich rate etwas anderes«, brummte Scharley. »Wenn sie dich hart anfassen, rede. Bekenne. Pack aus. Verrate. Kollaboriere. Einen Helden kannst du später aus dir machen. Wenn du deine Memoiren schreibst.«
     
    Als Erster wurde Nikolaus Koppirnig zum Verhör abgeholt. Der Astronom, der bis dahin versucht hatte, die Fassung zu bewahren, verlor beim Anblick der vierschrötigen Folterknechte der Inquisition den Kopf. Erst versuchte er zu fliehen, was völlig sinnlos war   – wohin hätte er auch fliehen können? Als er ergriffen wurde, schrie der Arme, weinte, schlug um sich, wand sich unter den Händen der Schergen wie ein Aal. Vergebens, das Einzige, was er durch seinen Widerstand erreichte, war eine Tracht Prügel. Sie hatten ihm die Nase gebrochen, durch die er, als er hinausgetragen wurde, vergeblich versuchte zu atmen, was komische Geräusche versuchte.
    Aber niemand lachte.
    Koppirnig kam nicht wieder. Als die Schergen am nächsten Tag den Institor holten, machte dieser keine Szene, er war still. Er weinte und schluchzte nur, völlig verzweifelt. Als sie ihn aufheben wollten, machte er sich in die Hosen. Da sie dies als eine Form des Widerstandes betrachteten, traten die Schergen heftig auf ihn ein, bevor sie ihn fortschleppten.
    Der Institor kam auch nicht wieder.
    Der Nächste   – am selben Tag   – war Bonaventura. Vor Angst völlig durchgedreht, begann der Stadtschreiber die Schergen zu beschimpfen, anzuschreien und ihnen mit seinen Beziehungen zu drohen. Die Schergen, das war klar, hatten davor keine Angst, sie scherten sich nicht darum, dass der Schreiber mit dem Bürgermeister, dem Propst, dem Münzmeister und dem Zunftmeister der Bierbrauer zuweilen Pikett spielte. Bonaventura wurde hinausgezerrt, nachdem man ihn ordentlich verprügelt hatte.
    Er kam nicht wieder.
    Der Vierte auf der Liste des Inquisitors war trotz aller dunkler Vorahnungen nicht Thomas Alpha, der deswegen die ganze Nacht hindurch abwechselnd geweint und gebetet hatte, sondern der Kamaldulenser. Der Kamaldulenser leistete keinen Widerstand, die Schergen brauchten ihn nicht einmal anzufassen. Der Falkenberger Diakon murmelte seinen Mitgefangenen einen leisen Abschiedsgruß zu, bekreuzigte sich und ging mit gehorsam gesenktem Kopf zur Treppe, aber mit so ruhigem und sicherem Schritt, dass sich selbst die ersten Märtyrer, die Neros oder Diokletians Arena betraten, dessen nicht hätten schämen müssen.
    Der Kamaldulenser kam nicht wieder.
    »Der Nächste bin ich«, sagte Urban Horn düster, im Innersten überzeugt davon.
    Er irrte sich.
     
    Schon als oben die Tür schleifte und die von einem schräg einfallenden Lichtstrahl beleuchteten Stufen unter den Tritten der Knechte, die diesmal von Bruder Tranquilus begleitet wurden, hallten und knarrten, wusste Reynevan genau, was ihm bevorstand.
    Er stand auf und drückte Scharleys Hand. Der Demerit erwiderte den Händedruck sehr fest und in seinem Gesicht gewahrte Reynevan zum ersten Mal etwas wie eine große, sehr große Besorgnis. Urban Horns Miene sprach für sich selbst.
    »Halt dich tapfer, Bruder«, brummte er und presste Reynevans Hand, dass es schmerzte. »Denk an Konrad von Marburg.«
    »Denke auch an meinen Rat«, setzte Scharley sanft hinzu.
    Reynevan dachte an beides, fühlte sich deswegen aber auch nicht besser.
    Vielleicht war es sein Gesichtsausdruck, vielleicht auch nur eine unachtsame Geste, jedenfalls stürzten sich die Schergen plötzlich auf ihn. Einer packte ihn am Kragen. Und ließ ihn gleich wieder los, krümmte sich, fluchte und rieb seinen Ellenbogen.
    »Ohne

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