Narrenturm - Roman
und machte sie blind. Das Feuer an der Wand flackerte, durch Wolken stinkenden Rauches erstickt zischte es und erlosch schließlich vollends.
Aber es war noch nicht vorüber. Plötzlich knallte es, es knallte schrecklich, aber der Knall kam nicht von dem in stinkenden Dampf gehüllten
occultum
her, sondern von oben, vom Ende der Treppe, von der Tür. Schutt bröckelte, ein Hagel von behauenen Steinen kam in einer weißen Wolke aus Putz und Mörtel herunter. Scharley packte Reynevan und brachte sichmit ihm unter dem Bogen der Treppe in Sicherheit. Gerade noch rechtzeitig. Vor ihren Augen traf die von oben herunterstürzende, mit einem Riegel versehene Tür einen der in Panik geratenen Debilen direkt auf den Schädel und zerquetschte ihn wie einen Apfel.
In einer Lawine von Schutt stürzte von oben ein Mensch herunter, die Arme und Beine kreuzförmig ausgebreitet.
Der Narrenturm stürzt zusammen, schoss es Reynevan durch den Kopf. Die
turris fulgurata,
der Turm, fällt, vom Blitz getroffen, auseinander. Der arme, lächerliche Narr stürzt in die auseinander stiebenden Trümmer des Narrenturmes, er stürzt nach unten, ins Verderben. Ich bin dieser Narr, ich falle, ich stürze in den Abgrund, bis zum Grund. Zerstörung, Chaos und Vernichtung, an denen ich allein schuld bin. Ich, Narr und Verrückter, habe einen Dämon beschworen, habe die Pforten zur Hölle geöffnet. Ich rieche den Gestank des höllischen Schwefels . . .
»Das ist Schießpulver . . .« Der neben ihm kauernde Scharley erriet seine Gedanken. »Jemand hat die Tür mit Schießpulver auseinander gesprengt . . . Reinmar . . . Jemand . . .«
»Jemand befreit uns!«, rief Horn, der zwischen den Trümmern hervorkroch. »Das ist die Rettung! Das sind unsere! Hosanna!«
»He, Jungs!«, schrie jemand von oben, von der zersprengten Tür her, durch das Loch drangen schon Helligkeit und frostige, frische Luft. »Kommt heraus! Ihr seid frei!«
»Hosanna!«, rief Horn noch einmal. »Scharley, Reinmar! Kommt hinaus, schnell! Das sind unsere! Die Böhmen! Wir sind frei! Weiter, schnell, die Treppe hinauf!«
Er lief als Erster voraus, ohne auf die anderen zu warten. Scharley folgte ihm. Reynevan warf einen Blick auf das erloschene, immer noch rauchende
occultum
, auf die im Stroh zusammengekauerten Debilen. Er rannte die Treppe hinauf und stieß auf den Leichnam von Thomas Alpha, dem die Explosion, die die Tür aufgerissen hatte, nicht die Freiheit, sondern den Tod gebracht hatte.
»Hosanna!« Urban Horn begrüßte oben schon seine Befreier. »Hosanna, Brüder! Sei gegrüßt, Halada! Bei Gott, Raabe! Tybald Raabe! Bist du es?«
»Horn«, staunte Raabe, »du bist hier? Du lebst?«
»Christe, gewiss! Wie? Ihr seid also nicht meinetwegen . . .«
»Nein, nicht deinetwegen«, warf der mit Halada Angesprochene, ein Böhme in einem Wams mit einem großen roten Kelch auf der Brust, ein. »Ich freue mich, Horn, dich gesund anzutreffen, ja. Auch Bruder Ambros wird sich freuen . . . Aber wir haben Frankenstein aus einem anderen Grunde überfallen. Ihretwegen.«
»Ihretwegen?«
»Ihretwegen«, bekräftigte ein Riese in einem pikierten Wams, das ihn noch größer erscheinen ließ, der sich durch die Schar der bewaffneten Böhmen hindurchdrängte. »Scharley, Reinmar, seid gegrüßt.«
»Samson . . .« Reynevan spürte, wie ihm die Rührung die Kehle zuschnürte. »Samson . . . Freund! Du hast uns nicht vergessen . . .«
»Kann man denn so etwas vergessen? Samson Honig lächelte breit. Zwei wie euch?«
Neunundzwanzigstes Kapitel
in dem die aus dem Narrenturm befreiten Helden frei sind, aber – wie sich zeigt – nicht ganz. Sie sind Zeugen historischer Ereignisse, genauer gesagt davon, wie einige Dörfer und Städtchen in Flammen aufgehen. Dann rettet Samson, was zu retten ist, dann ereignen sich verschiedene Dinge, bis die Helden schließlich am Ende davongehen. Ihr Weg führt sie, um die Metapher des Dichters zu gebrauchen, in parte ove non è che luca .
D er Schnee auf den Dächern stach mit seinem blendenden Weiß in die Augen. Reynevan schwankte, hätte ihn nicht Samsons Arm gestützt, so wäre er mir nichts dir nichts die Treppe hinuntergefallen. Vom Hospital her klang Geschrei, Schüsse hallten. Die Glocke der Spitalkirche jammerte schmerzvoll, auch die Glocken aller anderen Gotteshäuser in Frankenstein schlugen Alarm.
»Schneller!«, schrie Halada. »Zum Tor! Duckt euch! Sie schießen!«
Sie schossen. Ein Bolzen aus einer Armbrust schwirrte über
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